DER LETZTE BESUCHER
und griff hastig nach der au s gestreckten Hand eines Mannes, der plötzlich wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte und gerade noch rechtzeitig ihren Sturz verhi n derte. Sie blickte dankbar zu ihm auf, als er beschützend ihren Arm nahm und sie zurück auf den Kie s weg führte.
Er stand völlig unbeweglich und starrte hinüber. Doch dann begann sein linkes Augenlid plötzlich heftig zu zucken , und seine Finger krallten sich in den kalten Marmor. Die Erkenntnis, dass er offenbar die Situation völlig falsch ei n geschätzt hatte, durchzuckte ihn und legte sich auf ihn wie ein Stein. Er hatte es vermasselt, so viel war klar. J etzt war es zu spät. E r musste verhindern, dass noch mehr passierte. Ni e mand du rfte ihm in die Quere kommen.
„Das würde dir wohl so passen“, murmelte er mit zusammengebiss e nen Zähnen.
Er warf noch einen letzten Blick auf die kleine Trauerg e meinde , dann drehte er sich um und strebte mit schnellen Schritten dem Au s gang des Friedhofs zu. Draußen floss der Verkehr träge in beide Richtungen der Darmstädter Lan d straße. Jetzt hieß es aufpassen. Wah r scheinlich würden sie anschließend noch irgendwo zusammensitzen und etwas essen. Sein Blick fiel auf das große Gebäude schräg gege n über. Natürlich, ein Vier -Sterne-Hotel , das bot sicherlich den richtigen Rahmen, dachte er hämisch. Er überlegte einen Augenblick. Dann überquerte er die Straße, betrat die Hote l l obby und verließ sie du rch die sich geräuschlos b e wegende Drehtür nach wenigen Minuten wieder. Ein großzügiges Trin k geld, und schon wusste er, dass ein kleines Buffet in einem Nebenraum des Dach r estaurants auf die Tra u ergäste wartete. Se in Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch genügend Zeit hatte, auf einen Sprung bei den Kollegen vo r bei zuschauen , seine E-Mails zu checken und a n schließend selbst auch eine Kleinigkeit zu essen. Schnell ging er zurück zu seinem Wagen, d en er neben einem Seite n eingang des Friedhofs abgestellt hatte, und machte, das s er fortkam, bevor die Trauergäste den Friedhof ve r ließen.
Ich muss ein bisschen vorsichtiger sein, die a nderen fa n gen schon an zu tuscheln, weil ich so häufig nicht e r reichbar bin , dachte er bei sich . A uffallen war so zie m lich das L etzte, was er wollte , u nd schließlich ging sein Privatleben niema n den etwas an.
Zwei Stunden später war er wieder zurück und bezog Posten hinter dem Steuer seines Wagens, den er diesmal auf dem Parkplatz des Friedhofs direkt neben der Au s fahrt geparkt hatte. Der Rest war dann nur noch ein Kinde r spiel und bewies wieder einmal, dass keiner ihm so leicht etwas vo r machen konnte.
1 8
E s war schon spät am Abend , und draußen war ein kühler Wind aufgekommen. Helen stand auf und schob die Terrassentür zu . Die Musik, die du rch die geöffnete Tür vom Neckarufer heraufgedrungen war, ve r stummte. Sie fröstelte. Hinter ihr hantierte Beate geräuschvoll in der Küche . Die Kühlschranktür wurde geöffnet und mit einem Knall wieder geschlossen, Glas klirrte auf Glas, ein Korkenzieher quie t schte, dann e r tönte ein leises ` Plopp ´ . Gleich würde sie kommen, und sie würden zusammen noch ein Glas Wein trinken, bevor beide schlafen gingen. Die Geräusche hatten für Helen etwas ungemein B e ruhigendes. Sie fühlte sich schon viel besser und verlor allmählich ihre Angst. Eine Tür knarrte leise, dann kam Beate mit zwei gefüllten Gläsern in der Hand und setzte sich zu ihr in die gemütliche Essecke.
„Ich finde, wir sollten nicht mehr so förmlich miteinander sein. Ich bin die Ältere von uns beiden und d e shalb …, ach was, ich heiße Beate, das weißt du ja. Ist das für dich in Ordnung?“
„ Ja klar, danke. Ich freue mich darüber. Auf dein Wohl!“ Helen hob ihr Glas und prostete ihrem Gege n über zu. Sie lächelten sich zu und tranken .
Beate war eine Frau schneller Entschlüsse , und praktisch veranlagt, wie sie war, hatte sie sofort eins und eins zusa m mengezählt, als Helen plötzlich wie ein Häu f chen Elend in der Schwanthaler Straße aufgetaucht war. Nicht einmal genug Geld hatte die Ärmste bei sich gehabt, um den Tax i fahrer zu bezahlen. Beate hatte nicht viel gefragt, sondern die Jüngere einfach in ihre mütterlichen Arme genommen und sich erst einmal au s weinen lassen. Danach hatten sie viel geredet , anschließend hatte sie sie in Sabines Bett gesteckt und selbst auf der Couch g e schlafen .
Am nächsten
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