DER LETZTE BESUCHER
geschiedenen Mann? Gab es überhaupt noch eine Ve r bin du ng zwischen ihnen, seit Sabine von Hamburg nach Frankfurt gezogen war? Angeblich wusste ihr Exmann das ja gar nicht. Niemand in Sabines Umfeld kannte ihn , weder ihre Kollegen, noch die Hausb e wohner, auch Stefan Winter hatte ihn nie gesehen , zumindest behauptete er das, und Helen Ber g mann wusste ebenfalls nichts von ihm. Oder doch? Aber vielleicht hatte er sich ja geirrt, als er in dem Mann vor Helens Haus Dirk Bauer zu e r kennen glaubte. Er wünschte es sich sehr .
Die Vorstellung, dass Helen Bergmann etwas mit dem Tod ihrer Freundin zu tun haben könnte, b e unruhigte Becker . Aber ihr Alibi war ja glücklicherweise wasserdicht – zur Tatzeit war sie bereits im Krankenhaus , dafür gab es ein Du tzend Zeugen . Seit er sie ke n nengelernt hatte, spukte die zarte zerbrechliche G e stalt mit ihren großen verängstigten Augen du rch seine Gedanken und b e schäftigte ihn mehr als ihm lieb war. Sie brauchte offe n bar Hilfe, und e r war froh, dass er Beate Kugler gebeten hatte, sich ein bisschen um sie zu kümmern. Anscheinend hatte Helen auch Ve r trauen zu ihr gefasst , denn kurze Zeit später hatte sie ihn im Präsidium angerufen, um sich bei ihm, wie sie sagte, ´ abzumelden ` . Beate hatte ihr angeboten, vorübergehend bei ihr im Gäst e zimmer zu wohnen , bis es ihr wieder besser ginge und sie keine Gip s schiene mehr brauchte. Becker wunderte sich ein bisschen. Er hatte den Eindruck gehabt, dass Helen ziemlich unter der Fuchtel ihres Eh e mannes stand. Aber vielleicht hatte er sich da geirrt. Wer kennt schon die Frauen, dachte er. Auf jeden Fall hatte sie dringend einen Menschen g e braucht, mit dem sie reden ko n nte , und den hatte er ihr beschafft .
E in Pluspunkt für dich, mein Alter, meinte er zu sich selb st , während seine berufsmäßige Skepsis ihn leise aber nac h drücklich zur Vorsicht mahnte: Verbrenn dir bloß nicht wieder die Finger, du weißt doch , wie so etwas am Ende ausgeht .
Becker seufzte tief und nahm sich zum wiederholten Mal die Ermittlungsakte vor auf der Suche nach irgen d einem Hinweis, eine r noch so winzigen Spur, die ihn vora n brachte. Ohne Motiv kein Täter , ging es ihm wieder durch den Kopf. Das hatten sie schon auf der Polize i schule gelernt, und das hatte sich auch in der Praxis immer wieder bewahrheitet. Er musste zuerst das Motiv finden! Das unbe s timmte Gefühl, etwas Wichtiges übersehen oder übe r hört zu haben, nagte wieder an ihm und ließ ihm keine Ruhe. Irgendeine B e merkung … Was war es bloß gewesen, und vor allem wer …? Wenn er sich doch nur e r innern könnte …
Er musste noch einmal mit den Hamburger Kollegen sprechen. Oder besser noch, er musste selbst nach Hamburg, um dort mehr über die Ve r gangenheit der toten Sabine und ihres Exmanns herauszufinden . Vielleicht entdeckte er dann auch das fehlende Bindeglied in der Kette seiner Überlegu n gen. Vielleicht sollte er in Hamburg auch einmal die Freundin au f suchen, bei der Sabine damals nach ihrer Scheidung unte r gekommen war.
Gedankenverloren begann er, auf seiner Schreibti s chunterlage zu kri t zeln. An die vier Ecken eines Quadrats setzte er kleine Strichmännchen i m Uhrzeige r sinn , zuerst Sabine, dann ihren Exmann Dirk , danach Stefan Winter und schließlich auch noch Helen Ber g mann. Wo war die fehlende Verbin du ng? Spielerisch zeichneten seine Finger zwei dünne g e strichelte Diagonale n, strichen sie aber sofort wieder aus.
17
E r stand verborgen hinter einem verwitterten Marmo r sockel , auf dem ein mächtiger steinerner Engel seine Hände segnend über das efeubewachsene Grab zu seinen Füßen ausbreitete . Gebannt blickte er auf das Grüp p chen schwarzgekleideter Menschen , die sich schräg gegenüber um die frisch ausgehobene Grab stätte versammelt hatten. Er presste die Lippen fest aufeinander. Die Sargträger hatten den Sarg bereits hin ab gela s sen und eine Schale mit Blüten bereitgestellt. Der Pfarrer, der offensichtlich gerade sein G e bet beendet hatte, ging auf die beiden Frauen zu , die dicht nebe n einander vor der Grube standen, und reichte der Größeren die Hand. Sie weinte und sagte etwas zu ihm , d a rauf legte er ihr sanft den Arm um die Schulter n und brachte sie zu der bereitstehenden Blüte n schale. Jetzt ging auch die zweite Frau mit u n sicheren Schritten nach vorn und warf eine Handvoll Blumen hin ab . Als sie sich wieder umwandte, stolperte sie
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