Der letzte Beweis
Marta. Sie hat ihre Pumps ausgezogen und die gedrungenen Füße in ihrer Strumpfhose auf einen der Couchtische im Büro ihres Vaters gelegt, und jetzt kippt sie fast um. Ich stöhne laut auf. Ich bin es satt, nie zu wissen, was ich glauben kann. Mein Vater reagiert als Letzter und stößt ein schrilles Lachen aus.
»Das war Barbara«, sagt er. Er legt die Finger an den Nasenrücken und dreht völlig verwundert den Kopf hin und her. Die Idee scheint grotesk, aber ich habe trotzdem sofort das Gefühl, dass er recht haben könnte. »Sie hat irgendwie rausgekriegt, wie sie das machen kann, ohne dass die Karte auf dem Image erscheint.«
»Wäre das möglich?«, fragt Marta die beiden Experten. »Könnte sie sozusagen unsichtbare Tinte benutzt und dieses Objekt so angelegt haben, dass es nicht kopiert wird?«
Hans schüttelt den Kopf, sucht aber dann mit einem Seitenblick Bestätigung bei seinem Bruder. Auch der schüttelt nachdrücklich den Kopf.
»Ausgeschlossen«, sagt Ryzard. »Diese Software, Evidence Kit Tool, die ist das Nonplusultra, Mann. Industriestandard. Macht exakte Kopien. Ist schon tausendmal in tausend Fällen eingesetzt worden, ohne dass je Abweichungen registriert wurden.«
»Sie haben Barbara nicht gekannt«, sagt mein Vater.
»Richter Sabich«, sagt Franz, »ich habe eine Exfrau. Bei der hab ich auch manchmal das Gefühl, dass sie übersinnliche Kräfte hat, vor allem wenn ich mal etwas mehr verdiene. Da verklagt sie mich schon auf noch mehr Unterhalt, ehe ich den Scheck überhaupt eingelöst hab.«
»Sie haben Barbara nicht gekannt«, wiederholt mein Vater.
»Richter Sabich, glauben Sie mir«, sagt Franz. »Sie hätte genau wissen müssen, welche Software verwendet wird -«
»Gerade haben Sie gesagt, die ist Industriestandard.«
»Für sechzig Prozent des Marktes. Aber nicht für hundert. Dann hätte sie die Algorithmen knacken müssen. Und ein komplettes Gegenprogramm installieren, das beim Start aktiviert wird. Und das auf dem Image nirgendwo auftaucht. Oder auf der Festplatte, als wir sie uns gestern angeschaut haben. Ich meine, echt, Sie könnten sämtliche Computerfreaks im Silicon Valley zusammentrommeln, und die würden das nicht hinkriegen. Das ist von vorne bis hinten unmöglich.«
Mein Vater betrachtet Franz mit diesem betäubten, starren Blick, den ich in letzter Zeit so oft bei meinem Dad sehe.
»Also wann könnte die Karte erstellt worden sein?«, fragt Marta.
Franz sieht zu Hans rüber, und der zuckt die Achseln.
»Kann nur passiert sein, als der Computer drüben im Büro von dem anderen Richter war.«
»Richter Mason? Wieso? Wieso nicht noch später?«
»Ey, der ganze Computer war bis gestern versiegelt und in Folie eingeschweißt und abgezeichnet. Haben Sie doch selbst gesehen. Gorvetich hat uns die Siegelbänder sogar noch mal gezeigt, ehe die vor Gericht geöffnet wurden, damit wir ihm bestätigen, dass es die Originalsiegel waren. Und dann erst haben Matteus und Gorvetich und ich gemeinsam das letzte Siegelband abgezogen und den Monitor und den Rechner verbunden.«
»Könnten sie die Einschweißfolie und die Siegelbänder entfernt und den Rechner dann neu verpackt haben?«
Hans und Franz erklären, warum das unmöglich ist — auf dem Siegelband erscheint der blaue Schriftzug »beschädigt«, sobald es abgezogen wird -, doch sie werden von Sandy unterbrochen.
»Gemeinhin manipulieren Ankläger keine Beweismittel, um Hinweise auf die Unschuld des Angeklagten zu hinterlassen. Falls die Karte eine Fälschung ist, werden uns Richter und Geschworene wohl kaum abnehmen, dass sie das Werk der Anklagevertretung ist. Entweder wir bleiben bei Rustys Theorie, dass es Barbara war, oder wir finden eine andere Erklärung, warum das Festplattenimage nicht alles aufgenommen hat, was da war.«
»Kann nicht sein«, antwortet Hans definitiv.
»Dann sollten wir uns überlegen, ob wir das, was die Anklage mit Sicherheit behaupten wird, widerlegen können.«
Seit zwei Tagen benutzt Stern einen Stock, mit dem er sehr viel behänder ist als im Gerichtssaal. Jetzt stakst er damit hinter seinen Schreibtisch und greift zum Telefon.
»Wen rufst du an, Dad?«, fragt Marta.
»George«, antwortet Sandy.
Richter Mason, noch immer kommissarischer Chefrichter, ist nicht da, ruft aber nach zwanzig Minuten zurück. Als er sich meldet, sprechen er und Sandy offenbar kurz über Sandys Gesundheit, denn Stern antwortet »Alles planmäßig« und »Besser als erwartet«. Dann fragt Stern, ob er den
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