Der letzte Beweis
Richter auf Lautsprecher schalten darf, damit das übrige Prozessteam mithören kann. Ich sollte wahrscheinlich nicht hier sein, aber ich denke gar nicht daran, jetzt zu gehen. Schließlich waren Anna, mein Dad und ich die Einzigen, die den Computer benutzt haben, während er in Richter Masons Amtsräumen stand.
»Ich hab heute Morgen schon mit Tommy Molto gesprochen«, sagt der Richter. »Wie Sie sich erinnern werden, Sandy, haben wir uns, als wir den Computer hier in Empfang nahmen, darauf geeinigt, dass niemand unbeobachteten Zugriff darauf haben sollte und dass ich aufzeichnen würde, welche Dokumente eingesehen wurden. Tom hat mich um eine Kopie meines Protokolls gebeten, und ich hab sie ihm gemailt. Euch maile ich natürlich auch gern eine Ausfertigung.«
»Das wäre nett«, antwortet Stern.
Richter Mason und er sind sich einig, dass es sinnvoller ist, wenn wir uns zunächst mal das Protokoll ansehen, ehe sie sich weiter unterhalten. Während wir darauf warten, dass das Dokument durchs Netz kommt, wollen Stern und Marta von Hans und Franz wissen, was erforderlich wäre, um so etwas durchzuziehen. Die beiden haben bereits im Zeitraffer vor sich hin spekuliert, Vorschläge und Gedanken mit der Geschwindigkeit von Geschossen und Querschlägern auf einem Schießstand abgefeuert, und jetzt sind sie so ziemlich auf Gorvetichs Wellenlänge, dass vermutlich eine Shareware namens Office Spy verwendet wurde, die anschließend geschreddert worden sein muss.
»Wie lange würde man für alle Schritte brauchen?«, fragt Sandy. »Die Software installieren, das Objekt erstellen, die Software löschen und dann die Registrierungsdateien bereinigen.«
»Eine Stunde?«, antwortet Hans und sieht Franz an.
»Mit ein bisschen Übung könnte ich es vielleicht in fünfundvierzig Minuten schaffen«, sagt Franz. »Mal angenommen, ich hätte Spy und das Objekt schon auf einem USB-Stick, um etwas Download-Zeit zu sparen. Und ich hätte den ganzen Vorgang schon mal auf einem anderen PC geübt, sodass ich genau wüsste, wo ich die Löschung von Evidence Eraser bereinigen müsste. Aber jemand ohne umfassende Vorkenntnisse? Der würde doppelt so lange brauchen. Mindestens.«
»Mindestens«, sagt Hans. »Wahrscheinlich mehrere Stunden.«
Das Protokoll trifft ein, und es sind vier Besuche verzeichnet. Mein Vater war am 12. November, also eine Woche nach der Wahl, in dem Raum, wo George den PC meines Dads hatte aufbauen lassen. Es war eine deprimierende Erfahrung, und mein Vater schwor sich, das nicht noch mal zu wiederholen. George war selbst als Zeuge dabei. Mein Dad war achtundzwanzig Minuten dort. Er kopierte vier Dokumente auf einen USB-Stick: drei Entwürfe für Urteilsbegründungen und ein Memo von einem seiner Referendare. Außerdem öffnete er seinen Kalender und notierte sich seine Termine für den Rest des Jahres.
Ich kam eine Woche später, um drei weitere Entwürfe für Urteilsbegründungen auf einem USB-Stick abzuspeichern, und musste am nächsten Tag wieder hin, um noch eine Kopie zu machen, weil ich die Anweisungen meines Dads missverstanden hatte. Beide Male war Riley, eine Referendarin von Richter Mason, die ganze Zeit dabei. Und ich war beim ersten Mal zweiundzwanzig Minuten da und am nächsten Tag sechs Minuten.
Zuletzt, kurz vor Thanksgiving, ging Anna hin, die in letzter Minute für mich einspringen musste. Mein Dad wollte unbedingt einen Blick in den früheren Entwurf einer Urteilsbegründung werfen, an der er zu Hause arbeitete und die eigentlich schon hätte fertig sein müssen. Außerdem hatte er in optimistischen Momenten begonnen, Termine für 2009 zu vereinbaren, und wollte wissen, ob schon welche in seinem Kalender standen. Ich hatte an dem Morgen einen Anruf von der Schule bekommen und war gebeten worden, die kommenden zwei Wochen Unterrichtsvertretung zu machen, und wollte nicht Nein sagen. Anna hatte schon vorher angeboten, für meinen Vater Dokumente zu kopieren, weil sie regelmäßig in der Innenstadt war, und Richter Mason hatte begeistert zugestimmt. Im Protokoll ist verzeichnet, dass sie ungefähr eine Stunde da war, aber das nur, weil sie einen Anruf von der Kanzlei bekam und die meiste Zeit auf ihrem Handy telefonierte.
»War Riley die ganze Zeit bei ihr?«, fragt Sandy bei Richter Mason nach.
Richter Mason ruft Riley Moran zu sich. Sie kennt Anna seit zwei Jahren, weil Rileys Referendariat anfing, als Annas endete. Riley hat alles fast genauso in Erinnerung, wie Anna es mir damals erzählte.
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