Der letzte Beweis
Obduktion erfolgt wäre, desto leichter wäre es gewesen, eine postmortale Redistribution auszuschließen. Und die Analyse des Mageninhalts gestaltet sich selbstverständlich schwieriger, weil er weiter von den Magensäften zersetzt wird. Das macht es schwerer, eine Tablette zu finden oder das Phenelzin nachzuweisen oder auch nur zu bestimmen, was sie gegessen hat, einschließlich der Nahrungsmittel, die Tyramin enthalten. Aber auch das könnte ein Pathologe besser beantworten.«
Brand warf ein: »Okay, aber mal angenommen, jemand hat ihr viel Käse zu essen gegeben und ihr dann ein paar Tabletten verabreicht und dann die Leiche einen Tag lang abkühlen lassen — dadurch wäre es schwerer gewesen, die Phenelzinvergiftung zuverlässig nachzuweisen.«
»Theoretisch«, sagte Dr. Strack. Sie blieb ihrer Linie treu.
Tommy war dabei, das Ganze noch einmal im Kopf durchzuspielen. »Und wieso haben wir das anfänglich übersehen?«
»Weil MAO-Hemmer bei einer toxikologischen Untersuchung nicht erfasst werden.«
»Und welche von den Tabletten in ihrem Arzneischrank - zumindest diejenigen, die bekanntermaßen toxische Wirkungen haben -, welche von denen werden bei einer routinemäßigen toxikologischen Untersuchung nicht erfasst?«
Dr. Strack blätterte in ihren Unterlagen. »Nur Phenelzin. Die Sedativa, die Medikamente gegen Angststörungen, die Antidepressiva. Die werden alle routinemäßig gescreent. Bei ihrer Krankengeschichte war das Phenelzin keine Besonderheit. Und wenn bei den anderen Substanzen keine toxischen Werte festgestellt wurden, warum sollte das dann beim Phenelzin der Fall sein?«
Molto stellte noch ein paar Fragen, doch die kleine Ärztin war froh, als sie gehen konnte.
»Dieses kleine Wiesel«, sagte Brand, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Besser, wir wissen es jetzt«, beruhigte Molto ihn. »Hast du das Protokoll im Fall Harnason überprüft?«
Brand nickte. Tooley hatte Phenelzin erwähnt, als er Dr. Strack im Prozess ins Kreuzverhör genommen hatte. Mel hatte demonstrieren wollen, dass nicht mal ein erfahrener Toxikologe wusste, auf welche Substanzen beim regulären Screening getestet wurde und auf welche nicht. Wie hätte es da der arme Harnason wissen können? Tooleys Kreuzverhör einschließlich der Erwähnung von Phenelzin war in dem Schriftsatz enthalten gewesen, der ans Berufungsgericht gegangen war. Also wusste Rusty davon. Sie würden keine Probleme haben, das nachzuweisen.
Während des Gesprächs hatte Tommy gespürt, wie sein Adrenalinpegel anstieg, und jetzt lehnte er sich in dem großen Sessel des Oberstaatsanwalts zurück, um sich zu beruhigen und sorgfältiger nachzudenken.
»Das sind sehr gute Erkenntnisse, Jimmy«, sagte er schließlich, »aber ganz gleich wen wir als Toxikologen nehmen, wir können die Todesursache niemals beweisen.«
Brand zählte die belastenden Fakten auf. Eine Geliebte. Der Besuch bei Prima Dana. Die Frage an Harnason, was das für ein Gefühl war, jemanden zu vergiften. Die eintägige Wartezeit, um die Leiche abkühlen zu lassen, damit sich das Phenelzin und alles andere in ihrem Innern zersetzte.
»Jim, du kannst ihn nicht wegen Mordes drankriegen ohne einen zweifelsfreien Beweis, dass sie gezielt getötet wurde.« Genau dieses Problem hatte er Brand von Anfang an prophezeit. Wenn man einem so cleveren und erfahrenen Menschen wie Rusty Sabich eine derartige Tat unterstellte, dann musste man davon ausgehen, dass er sich rundum abgesichert hatte. Die Erkenntnis, dass Sabich Barbara vielleicht getötet hatte und ungestraft davonkam, zog Tommys Stimmung in die Tiefe wie ein Stein.
Brand war nicht gewillt aufzugeben.
»Ich werde mal bei der Apotheke nachbohren. Mal sehen, ob Rusty irgendwie mit dem Phenelzin zu tun hatte.«
Tommy winkte mit einer Hand, ließ Jimmy freie Bahn.
»Wir sind so nah dran.« Brands Daumen und Zeigefinger berührten sich beinahe.
Der amtierende Oberstaatsanwalt schüttelte den Kopf und lächelte ihn traurig an.
Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
Kapitel 13
Anna, 2. September 2008
Schon mein Leben lang hatte ich irgendwie ein Talent für katastrophale Fehltritte, Irrtümer, die mich jedes Mal um Jahre zurückgeworfen haben. Ich habe wenigstens zwei Berufslaufbahnen angefangen - zuerst in der Werbung und dann, nach meinem Abschluss, im Marketing -, die mir nie zusagten, und ich hab mich ständig in die falschen Männer verliebt. Mit zweiundzwanzig
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