Der letzte Beweis
Zappa-Bärtchen
unter der Unterlippe. Er sah sich um, beteuerte, wie toll die Wohnung sei,
obwohl ich wusste, dass er das auch gesagt hätte, wenn Fledermäuse von der
Decke gehangen hätten, und trank schließlich eine Tasse Kaffee mit mir draußen
auf dem kleinen Balkon, wo ich ihm vorführen konnte, was man für eine tolle
Aussicht auf die Stadt und den Fluss hatte, wenn man sich an der richtigen
Stelle weit vorlehnte.
»Hübsch«, erklärte er, zog seine
Schuhe aus und wackelte mit seinen nackten Zehen auf dem Geländer.
Ich habe Nat kennengelernt, als ich
bei seinem Dad arbeitete, und ihn immer gemocht. So umwerfend gut, wie er aussieht,
möchte man ihn manchmal fast nicht anschauen, weil man furchtet, es könnte
einem der Unterkiefer runterklappen, aber er ist zu linkisch und unsicher, um
wirklich cool zu sein. Er ist auf sympathische Art ahnungslos. Man begegnet so
wenigen Menschen, die offenbar wirklich echt sind und nicht bloß so tun.
Es war ein herrlicher Tag, die Luft
klar, und vom Fluss klang das Tuckern der Schlepper herüber, und wir relaxten,
plauderten entspannt, was bei Nat nicht unbedingt leicht ist. Er spricht wie
mit Bandverzögerung, als müsste das, was er sagen will, erst irgendwo in ihm
Aufstellung nehmen und kurz inspiziert werden, ehe er es rauslässt. Das kann
anstrengend sein, selbst für jemanden wie mich, die ich es gewohnt bin, in
einem Gespräch die meiste Sendezeit zu bekommen.
Wir hatten beide etwas anderes
studiert, ehe wir mit Jura anfingen, und tauschten Erfahrungen aus.
»Ich hab oft überlegt, ob ich nicht
Psychiater werde«, sagte er, »weil ich mit so vielen Seelenklempnern zu tun
hatte, aber seit ich Kind war, hab ich das Gefühl, dass jeder irgendwie in
seiner eigenen Geschichte von der Welt feststeckt, und ich hab mir nie angemaßt
zu wissen, wie jemand anders sich fühlt. Das war mit ein Grund, warum ich ein
Philosophiestudium angefangen habe. Aber das Gesetz ist zumindest eine
Geschichte, auf die sich alle einigen können.«
Ich lachte über diese Definition. Als
ich ihm erzählte, wie stolz sein Dad auf Nats Leistungen im Jurastudium war,
starrte er mich an, als wäre ich ein Alien.
»Wer weiß denn schon, was mein Dad
denkt?«, fragte er schließlich. »Zu mir hat er nie ein Wort darüber verloren -
Jurastudium, Examen, Referendariat -, obwohl ich die ganze Zeit in seinen
Fußstapfen marschiert bin. Als hätte er Angst, ich könnte es merken, wenn er
etwas sagt.«
Ich blickte in meine Kaffeetasse.
»Wie geht's deinem Dad?«, fragte ich.
»Er ist ziemlich mit dem Wahlkampf
beschäftigt. Koll reitet die ganze Zeit auf dieser Harnason-Sache rum, der Typ,
der abgehauen ist, nachdem mein Dad ihm Kaution gewährt hat, und mein Dad ist
völlig außer sich.« Er erzählte von einigen Wahlkampftipps, die sein Vater von
Ray Horgan bekam. Dann stockte er und fragte, ob ich Ray kennen würde. Ich sah
ihn lange an, weil ich im ersten Moment dachte, er wollte mich auf den Arm
nehmen.
»Ich arbeite für Ray«, sagte ich
schließlich.
»Bin ich ein Trottel.« Nat schlug
sich gegen den Kopf. »Ich wundere mich, dass du so lange nicht mehr mit meinem
Dad gesprochen hast. Normalerweise hält er Kontakt zu all seinen Referendaren,
und über dich hat er immer geredet, als wärst du das Beste seit der Erfindung
von Softeis.«
»Echt? Im Ernst?« Selbst da noch
spürte ich, wie mir bei dem Kompliment das Herz aufging. »Tja, ich arbeite
einfach so viel, dass ich wie eine Einsiedlerin lebe.«
Das führte zu einem langen Gespräch
über das Leben als Junganwältin in einer großen Kanzlei. Ich sagte Nat die Wahrheit.
Entweder es ist einfach ein klarer Deal - du bist da, um dein Studentendarlehen
abzustottern oder die Anzahlung für irgendeine große Anschaffung
zusammenzubringen - oder ein Akt blinder Hoffnung, weil du glaubst, die Arbeit
als Anwalt könnte wirklich interessant sein, wenn du bloß mal dazu kämst, die
wirklich interessanten Sachen zu machen. Worauf ich immer noch warte.
»Die größte Gefahr ist, dass du dich
zu sehr an das Geld gewöhnst, während du noch dabei bist, das rauszufinden«,
sagte ich.
»Indem du zum Beispiel eine
Eigentumswohnung kaufst?«, fragte er mit einem niedlichen kleinen Lächeln, das
mir schon ein paarmal aufgefallen war.
»Genau. Oder eine schöne Wohnung ganz
für dich allein mietest.«
Wir hatten Spaß zusammen, aber mehr
auch nicht. Als wir wieder reingingen, fragte ich ihn,
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