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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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habe ich einen Mann geheiratet, der eigentlich ziemlich uninteressant war - wir blieben ganze zweiundsiebzig Tage zusammen -, und ich habe noch schlimmere Fehler gemacht, vor allem zwei wilde Affären mit verheirateten Männern, wo das tragische Ende ebenso klar abzusehen war, als hätte mir jemand die Botschaft mit Feuerschrift an die Wand gemalt.
    Wie so viele andere neige ich dazu, meine Schwächen auf meine Eltern zurückzuführen, auf einen Vater, der verschwand, als ich sechs war, und dessen Anwesenheit sich seitdem mehr oder weniger auf Weihnachtskarten beschränkte, und auf eine Mom, die zwar liebevoll war, aber oft den Eindruck machte, als wollte sie von mir erzogen werden. Mit acht stellte ich den Wecker, um sie morgens aus dem Bett zu holen, damit sie zur Arbeit ging. Irgendwie wuchs ich in dem Gefühl auf, dass alles, was sie missbilligte, vielleicht doch ein zweites Hinsehen lohnte.
    Aber im Vergleich zu dem, was ich jetzt vorhabe, verblasst alles andere in meiner Vergangenheit. Nachdem ich Rusty angerufen habe, starre ich das Telefon in meiner Hand an und frage mich, wie gefährlich und verrückt ich eigentlich bin.
     
    Einer meiner Juraprofessoren sagte gern, dass die meisten Probleme dieser Welt irgendwie mit Immobilien anfangen, und in diesem Fall trifft das zweifellos zu. Im Juni dieses Jahres beschloss ich, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Mir gefiel die Vorstellung, endlich etwas Eigenes zu haben, aber von dem Moment an, als ich den Vertrag unterschrieben hatte, schien der gesamte Globus in wirtschaftliche Panik zu verfallen. Mein Mitbewohner hatte versprochen, den Mietvertrag für meine derzeitige Wohnung zu übernehmen, doch eine Woche später verlor er seine Arbeit und beschloss, stattdessen bei seinem Freund einzuziehen. In der Kanzlei wurde plötzlich von sinkenden Einnahmen gemunkelt, von drohenden Entlassungen, die jeden, wirklich jeden treffen konnten. Ich sah mich schon zu Weihnachten vor Gericht, arbeitslos, aber mit der unverhofften Gelegenheit, gänzlich neue Prozesserfahrungen zu sammeln, weil ich mich nämlich selbst in Verfahren verteidigen würde, bei denen es um Zwangsvollstreckung, Zwangsräumung und private Insolvenz ging.
    Anfang Juli verfasste ich eine E-Mail, in der ich meine Wohnung zur Untermiete anbot und die ich an sämtliche Stellen verschickte, die mir einfielen, auf Anraten der Ehefrau eines Partners in der Kanzlei auch an eine interne Webseite des Obersten Bundesstaatsgerichts. Meine Wohnung liegt keine zwei Blocks vom Gericht entfernt und wäre ideal für jemanden, der gerade sein Referendariat antritt. Noch am selben Nachmittag erhielt ich folgende Antwortmail:
     
    Von: [email protected]
    An:
[email protected]
    Datum: Mittwoch, 9.7.08 12:09
    Betreff: AW: Meine Wohnung
    Hallo Anna,
    hab Deine Mail gelesen. Freut mich, dass es Dir gut geht. Ehrlich
gesagt, ich kann mir gar nicht vorstellen, je eine Wohnung zu kaufen. Da bin
ich meilenweit von entfernt.
     
    Jedenfalls, wäre es wohl möglich, wenn ich mir Deine Wohnung nächstes
Wochenende mal kurz ansehen würde? Ich wohne zurzeit mit drei Freunden zusammen
in einem Haus in Kehwahnee, aber nur noch bis September, weil zwei von ihnen
heiraten werden. Ich hab mich immer noch nicht entschieden, was ich mache, wenn
mein Referendariat zu Ende ist - ich weiß, ich bin ungefähr acht Monate zu spät
dran -, aber ich habe von einer Kanzlei ein Angebot erhalten, das mich interessieren
würde, und wenn ich es annehme, kann ich es mir wahrscheinlich leisten, allein
zu wohnen. Ich hab noch nicht richtig gesucht, aber als ich Deinen Namen sah,
hab ich mir gedacht, ich sollte damit anfangen. Falls mir Deine Wohnung
gefällt, wäre das vielleicht eine Entscheidungshilfe. Ich weiß, das ist alles
ziemlich verquer, aber ich hab's noch nie geschafft, wie ein normaler Mensch
Entscheidungen zu treffen. Und selbst wenn ich die Wohnung nicht nehme, kann ich
immer noch den neuen Referendaren davon vorschwärmen, die noch auf Wohnungssuche
sind.
     
    Sag Bescheid, ob Du Zeit hast.
    Nat Sabich
     
    Ich hatte weiß Gott einige Bedenken
deswegen, aber die Verzweiflung zwingt einem ihre eigene Logik auf, und mir
fiel auch keine gute Entschuldigung ein, um ihm abzusagen. Am nächsten
Sonntagmorgen kam er um elf Uhr in Jeans und T-Shirt durch die Tür, gut acht
bis zehn Zentimeter größer als sein Dad, schlank und erschreckend schön mit dem
vollen schwarzen Haar, den ägäisblauen Augen und einem süßen kleinen

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