Der letzte Beweis
was für ihn beruflich
sonst noch infrage käme.
»Ich hab während des Studiums
manchmal an der Nearing High als Vertretungslehrer gearbeitet, und die würden
mich wieder nehmen. Am liebsten würde ich allerdings Jura lehren«, sagte er.
»Aber wenn man an eine anständige Uni will, muss man Veröffentlichungen
vorweisen. Ich hab einen Aufsatz veröffentlicht, aber ich brauch noch mehr.
Eigentlich wollte ich dieses Jahr für die Law Review einen Artikel über
Neurowissenschaften und Jura schreiben, aber kurz vor meinem Examen haben
meine Freundin und ich uns getrennt, und seitdem bin ich immer noch ganz schön
depri. Ich kann mich schlecht konzentrieren, wenn ich von der Arbeit nach Hause
komme. Vielleicht schaff ich es ja, wenn es mir wieder besser geht.«
»Das mit der Trennung tut mir leid«,
sagte ich.
»Ach, es war schon besser so,
ehrlich, aber das Ganze macht mich trotzdem fertig. Von einem Tag auf den
anderen gibst du der Person, in deren Leben du die zentrale Rolle gespielt
hast, die Schlüssel zurück, und nicht mal mehr ihr Hund will dir ans Bein
pinkeln.«
Ich lachte ziemlich kräftig, obwohl
ich die Melancholie in seiner Äußerung spürte.
»Hab ich alles auch schon erlebt«,
sagte ich mit einem Seufzer. »Genauer gesagt, ich erlebe es zurzeit.« Ich
hatte nicht den Mut, ihm dabei in die Augen zu sehen, und ging zur Tür.
»Normalerweise red ich nicht so
viel«, sagte er, während er mir folgte. »Anscheinend hab ich das Gefühl, dich
besser zu kennen, als das tatsächlich der Fall ist.« Ich hatte keine Ahnung,
was ich auf eine so eigentümliche Bemerkung antworten sollte, und wir sahen
uns einen Moment lang schweigend an.
Als er fort war, flatterte mir das
Herz in der Brust. Nat hatte zwangsläufig seinen Vater mit in meine Wohnung gebracht.
In der Zeit, seit die Sache mit Rusty und mir zu Ende gegangen war, hatte ich
versucht, nicht viel an ihn zu denken, aber wenn ich es tat, dann mit
schrecklichem Selbstmitleid - weil ich so verrückt und verletzlich und dumm
war, weil ich etwas wollte, das ich ganz offensichtlich niemals haben würde.
Dennis, mein Therapeut, bezeichnet die Liebe als einzige gesellschaftlich
anerkannte Form der Psychose. Aber ich vermute, die Liebe ist gerade deshalb
wunderbar und gefährlich zugleich, weil sie einen so verändern kann. Einige
von den Büchern, die ich gelesen habe, behaupten, dass es in der Liebe
letztlich um Veränderung geht. Ich bin mir da nicht sicher.
Keine zwei Stunden später schickte
Nat mir eine Mail, in der er mir das mitteilte, wovon ich bereits ausgegangen
war, dass er nämlich die Wohnung nicht nehmen würde.
Nach dem Gespräch mit Dir ist mir klar geworden, dass ich ja wohl
schwachsinnig sein muss, mir einzubilden, ich könnte in einer Kanzlei arbeiten.
Ich maile allen neuen Referendaren, die vielleicht noch auf Wohnungssuche sind,
dass Dein Apartment toll ist und ein so günstiges Schnäppchen, dass der
zukünftige Mieter eigentlich verklagt werden müsste.
Ich glaube, ich muss mich ein wenig entschuldigen, weil ich mit diesem
Geplapper von meinen Psychiatern bestimmt einen ganz schön abgedrehten Eindruck
gemacht habe, aber es hat echt Spaß gemacht, mit Dir zu reden, und ich wollte
fragen, ob wir uns vielleicht demnächst mal auf einen Kaffee treffen könnten.
Ich würde gern Deine Meinung zu eventuellen neuen Entwicklungen bei der
Jobsuche hören.
Außerdem wollte ich noch sagen, als ich unser Gespräch im Geist noch mal
durchgegangen bin, fand ich es zum Schreien, dass wir uns gegenseitig gefragt
haben, was mein Dad wirklich denkt. Das ist SO typisch für ihn.
Bis bald
Nat
Ich las diese E-Mail mehrmals durch,
vor allem den Teil mit dem Kaffeetrinken. Hat der Bursche sich vielleicht ein
bisschen in dich verkuckt?, fragte ich mich. Ich brauchte eine halbe Stunde,
um in meiner Antwort den richtigen Ton zu treffen.
Nat,
kein Problem, ich verstehe Deine Entscheidung. Und vielen Dank dafür,
dass Du am Gericht weiter Werbung machen willst. Ich hoffe, es nützt was.
Und nein, Du hast keinen »abgedrehten Eindruck« gemacht. Unter uns
gesagt, ich hab vor etwa einem Jahr eine Therapie angefangen, nach einer
wirklich schwierigen Trennung, und ich habe ehrlich manchmal das Gefühl, mein
Leben bis dahin vertan zu haben. Ich schäme mich immer noch ein bisschen deswegen
- einerseits, weil ich die Therapie brauche, und andererseits, weil sie mir so
guttut. Aber
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