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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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das ist im Augenblick die einzige Zeitnische, die ich mir gönne.
Ich verabrede mich nicht gern zum Kaffee, weil ich am Ende doch immer
kurzfristig absage. Aber schick mir doch ruhig ab und an mal eine Mail und
erzähl mir, was bei Dir so los ist.
     
    Sobald ich auf Senden gedrückt hatte,
drängte sich mir eine schmerzhafte Wahrheit auf, der ich nur ungern ins Auge
sehe: Ich bin einsam. In den letzten zehn Jahren habe ich so viel in meinem
Leben verändert, dass es kaum möglich war, Freundschaften zu pflegen, auch
weil die meisten inzwischen verheiratet sind und Kinder haben. Ich gönne es
ihnen, aber sie haben sich eingerichtet und sind nicht daran interessiert,
manches genauer unter die Lupe zu nehmen. Man kann nicht bei Leuten sein Herz
ausschütten, die nicht auf der gleichen Wellenlänge sind. Ich habe Freundinnen,
die ebenfalls solo sind, aber die meiste Zeit reden wir irgendwann dann doch
wieder über Männer, was im Augenblick einfach nicht geht. Mehr als ein Jahr
habe ich gebraucht, um über Rusty hinwegzukommen, und in dieser Zeit habe ich
mich hinter der Arbeit verschanzt. An den Wochenenden bestehen meine Abende
meistens aus Fernsehen und Fertiggerichten.
    Damit war die Sache mit Nat erst mal
erledigt, bis sich etwa zehn Tage später ein Typ namens Micah Corfling bei mir
meldete. Er war angehender Referendar bei Richter Tompkins und hatte von Nat
eine schwärmerische Mail über meine Wohnung erhalten, die er schließlich
mietete. Als ich Nat schrieb, ich sei ihm was schuldig, antwortete er mir so:
     
    Von:
    An:
    Datum: Freitag, 25.7.08 16:20
     
    Super!!! Also, wenn Du mir wirklich
was schuldig bist, wie wär's dann morgen mit Lunch oder so? Muss auch kein
besonders schicker Laden sein, weil ich praktisch keine Klamotten ohne Löcher
habe.
     
    Von:
    An:
    Datum: Freitag, 25.7.08 16:34
     
    Tut mir leid, Nat. Ich hab's Dir ja schon gesagt. Arbeit Arbeit Arbeit.
Ich bin morgen den ganzen Tag im Büro. Ein anderes Mal?
     
    Von:
    An:
    Datum: Freitag, 25.7.08 16:40
     
    Ich hab ein paar Sachen am Gericht zu
erledigen. Wir können uns bei Dir in der Nähe treffen.
     
    Von:
    An:
    Datum: Freitag, 25.7.08 17:06
     
    Ich muss einen Entwurf für einen
Schriftsatz fertig machen. Ich bin bestimmt total hektisch und schlecht drauf.
Es geht wirklich nicht.
     
    Von:
    An:
    Datum: Freitag, 25.7.08 17:18
     
    Komm schon! Morgen ist Samstag! Und
ich hab Dir einen Mieter verschafft. (Gewissermaßen.)
     
    Inzwischen kam ich mir tatsächlich
schrecklich undankbar vor, also ließ ich mich darauf ein, mich ganz kurz mit
ihm bei Wallys zu treffen, und nahm mir vor, ihm bei der Gelegenheit den Wind
aus den Segeln zu nehmen. Als ich am Samstag losging, um mich mit ihm zu
treffen, bat ich Meetra Billings, die Schreibkraft, die meinen Schriftsatz
tippte, mich in zwanzig Minuten anzurufen und so zu tun, als wollte mich einer
der Partner sprechen.
    Wallys
ist ein Imbiss mit ein paar Tischen. Unter der Woche geht es da immer laut und
hektisch zu. Die Stammgäste und Angestellten kommunizieren ausschließlich
schreiend, und das verrostete Klimagerät über der Tür scheppert, als wäre ein Presslufthammer
darin, während Wally, ein Einwanderer von irgendwo östlich von Paris, den
Leuten, die draußen Schlange stehen, um reinzukommen, unaufhörlich zubrüllt:
»Türr zu, Türr zu!« Samstags jedoch kann man tatsächlich die Stimmen der Männer
hinter der Theke hören, die gewohnheitsmäßig ruppig »Der Nächste!« knurren. Nat
war schon da. Vor ihm auf dem Resopaltisch standen zwei Becher Kaffee, einer
mit Milch und zwei Päckchen Zucker auf dem Deckel. So trinke ich meinen Kaffee,
und es war eine nette Geste. Daneben lag sein Handy, und ich fragte ihn, ob er
einen Anruf erwarte.
    »Von
dir«, antwortete er. »Ich dachte, du würdest im letzten Moment absagen.«
    Verlegen
verzog ich das Gesicht. »Ich hab deine Nummer gar nicht.«
    »Schlau
von mir«, sagte er. »Also, ich meine, darf ich fragen - was ist los mit dir?«
    Ich setzte
mich an den Tisch und suchte nach einer plausiblen Antwort.
    »Ich hab
einfach das Gefühl, es wäre irgendwie komisch, wenn wir uns anfreunden. Wo ich
doch für deinen Dad gearbeitet habe und so.« Es klang lächerlich lahm, das
musste ich zugeben.
    »Ich
glaub, da steckt was anderes dahinter«, sagte er. »Vielleicht ein
eifersüchtiger Liebhaber oder so, der dich am liebsten im Schrank einsperren
möchte?«
    »Nein.«
Ich musste tatsächlich

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