Der letzte Beweis
herbstlich, und die Abendsonne hat ein goldenes Netz übers Wasser geworfen. Wir schaffen es gerade noch auf die andere Seite, als Anna auch schon ihren neuen Prius auf einen Picknickplatz am Waldrand steuert und aus dem Auto springt. Ich bin rechtzeitig bei ihr, um sie von hinten festzuhalten, während sie sich in eine rostige Öltonne erbricht, die als Abfalleimer dient.
Obwohl ich es besser weiß, frage ich, ob sie was Falsches gegessen hat.
»Nat, es liegt an diesem Scheißdinner«, antwortet sie. »Wir können absagen«, sage ich. »Ihnen sagen, dass du krank bist.«
Sie hält sich immer noch an der Tonne fest, schüttelt aber heftig den Kopf. »Bringen wir's hinter uns. Bringen wirs einfach hinter uns.«
Als sie sich wieder gut genug fühlt, um ein paar Schritte zu tun, gehen wir zu einer quietschenden Bank an einem klapprigen Picknicktisch, dessen Oberfläche mit aufgesprühten Sprüchen und Vogelkacke übersät ist.
»Igitt!«, sagt sie.
»Was ist?«
»Ich hab mir in die Haare gekotzt.« Sie inspiziert die hellen Strähnen mit offensichtlichem Ekel.
Ich hole eine halb volle Flasche Wasser aus dem Auto und ein paar Servietten, die von Fast-Food-Snacks übrig geblieben sind, und sie versucht, so gut es geht, ihre Haare zu säubern.
»Erklär deinen Eltern einfach, du hättest mich unter einer Brücke gefunden.«
Ich sage, sie sieht toll aus. Was nicht stimmt. In ihrem Gesicht ist kein bisschen Farbe mehr, und ihr Haar sieht aus, als hätte sich ein Rudel Nagetiere darin eingenistet. Ich habe es aufgegeben, sie zu trösten oder zu fragen, warum.
Sie bittet mich zu fahren, was bedeutet, dass sie mich als Hüter der Muffins ablösen muss. Ich halte das Tablett, bis sie sich angeschnallt hat. Anna hat sich bereit erklärt, den Nachtisch mitzubringen, und vier große Muffins gebacken, jedes mit unserer jeweiligen Lieblingsgeschmacksnote und mit unseren Namen in Zuckerguss obendrauf. Mein Dad bekommt den mit Möhrengeschmack, weil er so gern Möhrenkuchen isst, und meine Mutter eine Art Heidelbeermuffin aus Sojamehl. Die für Anna und mich sind weit weniger gesund, beide mit viel Schokolade drin. Sie hält das Tablett mit beiden Händen auf dem Schoß fest und klemmt sich die Packung Eiscreme, die sie zusätzlich mitgebracht hat, zwischen die Füße.
»Ich möchte dich um eines bitten«, sagt sie, als ich gerade den Motor starten will. »Lass mich nicht mit einem der beiden allein. Okay? Ich bin nicht in Stimmung für irgendwelche vertraulichen Gespräche unter vier Augen. Sag einfach zu mir, ich soll nach oben gehen und mir dein Zimmer anschauen. Irgendwas in der Art, damit ich wegkann. Okay?«
»Okay.« In Wahrheit hat sie diese Bitte schon etliche Male geäußert.
Kurz darauf sind wir vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. In letzter Zeit kommt es mir jedes Mal, wenn ich herkomme, irgendwie anders vor - kleiner, altertümlicher, ein bisschen wie aus einem Märchen. Es ist ein besonderes Haus, eines, das nur meine Mom aussuchen würde, mit vorquellenden Mörtelfugen und einem supersteilen Dach, ein Look, der irgendwie nicht zu der Fülle von Blumen passt, die immer noch in Kübeln und Töpfen vor dem Haus blühen. Während meiner Kindheit und Jugend beteuerte meine Mom ständig, sie könne es nicht erwarten, wieder zurück in die Stadt zu ziehen, aber als mein Dad vor ein paar Jahren genau das vorschlug, hatte sie ihre Meinung geändert. Dass sie immer noch hier sind, spiegelt die Sackgasse wider, in der sie sich befinden. Sie setzt sich durch. Er nimmt es widerwillig hin.
Meine Mom reißt die Tür auf, noch ehe wir die Eingangsstufe erreicht haben. Sie trägt ein bisschen Make-up und einen von diesen gesteppten Trainingsanzügen, was für sie, solange sie sich im Haus aufhält, schon ziemlich schick ist. Sie umarmt mich und lobt dann die Törtchen in den höchsten Tönen, während sie das Tablett von Anna entgegennimmt und sie dabei rasch auf die Wange küsst. Sie entschuldigt sich, sobald wir durch die Tür sind. Mein Dad und sie haben den ganzen Tag im Garten gearbeitet und sind ein bisschen spät dran.
»Ich hab deinen Vater einkaufen geschickt, Nat. Er müsste gleich wieder da sein. Kommt rein. Anna, kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Ich habe Anna gesagt, dass meine Mom gern Rotwein trinkt, und sie hat eine besonders gute Flasche gekauft, aber meine Mom beschließt, die fürs Abendessen zu verwahren. Erst mal nehmen Anna und ich beide ein Bier aus dem Kühlschrank.
Die
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