Der letzte Beweis
Aufsatz für die Law Review zu Ende schreibe, mit dem ich in letzter Zeit ein gutes Stück weitergekommen bin. Er nickt, als wollte er sagen, klingt vernünftig.
»Und sonst?«, fragt er, während er sich rechts und links am Rauch vorbeiduckt.
»Ich bin wirklich glücklich, Dad.«
Als ich mich zu ihm umdrehe, steht er still da, mustert mich aufmerksam mit ziemlich unergründlicher Miene und lässt sich von den Rauchschwaden einhüllen. Mir wird klar, wie lange es her ist, dass ich meinem Vater oder meiner Mutter so geantwortet habe. Im Laufe der Jahre habe ich sie überwiegend mit einem schlichten Okay abgespeist, wenn sie sich nach meinem Befinden erkundigten.
Um der Aufmerksamkeit meines Dads zu entgehen, trinke ich jetzt einen kräftigen Schluck Bier und blicke in den kleinen Garten, in dem ich als Kind gespielt habe. Damals kam er mir groß wie eine Prärie vor. Heute wird die freie Fläche von dem neuen Rhododendron unterbrochen, knapp einen Meter hoch, mit glänzenden Blättern und umringt von der frischen Erde, die mein Vater heute umgegraben hat. Die Dinge ändern sich, und manchmal zum Guten. Ich bin stolz, dass Anna mit mir hier ist, ich bin zufrieden mit mir, weil ich erkannt habe, wie gut sie für mich sein könnte, weil ich hartnäckig geblieben bin und ihre Liebe errungen habe, und ich bin glücklich, dass ich sie mit den beiden anderen Menschen zusammengebracht habe, die ich liebe. Es ist einer dieser Momente, die ich nie vergessen werde: jener Tag, an dem ich so glücklich war.
Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
Kapitel 22
Tommy, 4. November 2008
Im Laufe der Zeit hatte die Staatsanwaltschaft wie jede andere Institution ihre ganz eigene Etikette entwickelt. Der Boss rührte sich nicht vom Fleck. Der Oberstaatsanwalt betrat morgens mit dem Aktenkoffer unter dem Arm sein Büro und verließ es nicht mehr außer zum Lunch oder für Gerichtstermine. Nominell war das ein Zeichen der Achtung. Wer mit ihm sprechen musste, kam zum Berg. Doch in Wahrheit schützte diese Praxis die lockeren Umgangsformen im Büro der Staatsanwaltschaft. Da standen Männer dreißig Meter voneinander entfernt auf dem Gang und erörterten ihre Fälle, während sie sich einen Softball zuwarfen. Jeder konnte »Scheiße« sagen, so laut er wollte. Staatsanwälte konnten über Richter herziehen, und Cops konnten große Reden schwingen. Im Allerheiligsten seines Büros wahrte der Oberstaatsanwalt eine Würde, die der Alltag seiner Behörde niemals widerspiegeln würde.
Die Folge davon war, dass Tommy sich manchmal regelrecht eingesperrt fühlte. Er hatte nur über Sprechanlage oder Telefon Kontakt zur Außenwelt. Über dreißig Jahre lang war er über die Flure gewandert, hatte in das ein oder andere Büro geschaut und über Fälle und die Kinder zu Hause geredet. Und im Augenblick war er die Warterei satt. Heute Morgen war Brand als Erstes zu einer Besprechung im Kriminallabor gegangen, wo man ihm die DNS-Ergebnisse der zwanzig Jahre alten Spermaprobe von dem Prozess gegen Sabich mitteilen würde. Inzwischen hatte Tommy sein Büro schon sechsmal verlassen, um nachzuschauen, ob Brand wieder da war.
Die Tatsache, dass diese Ergebnisse Tommy in die eine oder andere Richtung zwingen und ihn zwischen einer schlechten Möglichkeit und einer noch schlechteren wählen lassen würden, kam ihm im Augenblick weniger wichtig vor. Und auch die Idee, mit der Brand auf einmal liebäugelte, dass Tommy doch nächstes Jahr für das Amt des Oberstaatsanwalts kandidieren sollte, wenn sie erst gegen Rusty Sabich einen Schuldspruch erreicht hatten, ließ ihn kalt. Falls das wirklich der Fall sein sollte und eine Richterstelle frei wurde, würde Tommy wahrscheinlich Brand den Stab zuwerfen. Jedes Mal wenn Brand laut in dieser Richtung spekulierte, brachte Tommy ihn zum Schweigen. Politik war nie seine Leidenschaft gewesen. Was Tommy Molto wirklich am Herzen lag, das hatte ihm auch schon in seinen Jahren als einfacher Staatsanwalt am Herzen gelegen. Gerechtigkeit. Die Frage, ob etwas richtig war oder ob es falsch war.
Wenn sie also vor zwanzig Jahren einen Unschuldigen angeklagt hatten, dann wäre er der Erste, der sich bei Rusty dafür entschuldigen würde. Und wenn das Gegenteil der Fall war, wenn Rusty Carolyn getötet hatte - was dann? Er wusste es sofort. Es würde sein wie seine Ehe. Es würde sein wie seine Begegnung mit Dominga, als er sich in sie verliebt hatte. Und sie Tomaso
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