Der letzte Beweis
Stimmungen meiner Mom sind so unberechenbar, dass ich, wenn ich herkomme, oft vorher meinen Dad auf seinem Handy anrufe, um über sie zu reden, als wäre sie ein Wetterballon. »Schlechter Tag«, warnt mein Dad mich dann beispielsweise. »Mieser als verdorbene Miesmuscheln.« Aber sie ist nur selten so sichtlich begeistert wie heute Abend, während sie sich hektisch in der Küche zu schaffen macht. Aufgekratzt passt nicht in ihr emotionales Spektrum.
Anna war noch nie hier. Meine Mom lässt eigentlich nur Verwandte ins Haus, und ich führe Anna ins Wohnzimmer, nenne die Namen meiner inzwischen verstorbenen Großeltern und die meiner Cousins auf den Fotos und lasse sie über die vielen Kinderbilder von mir witzeln. Schließlich gehen wir wieder zu meiner Mom in die Küche.
»Es gibt nur was ganz Einfaches«, sagt meine Mom über das Essen, »genau wie ich versprochen habe. Steak, Maiskolben. Salat. Annas Muffins. Vielleicht mit ein bisschen Eis dazu.« Sie lächelt, eine Cholesterinfanatikerin, die den Gedanken an eine kleine Sünde genießt.
Anna und ich nehmen den Salat in Angriff. Anna, eine fantastische Köchin, hat gerade angefangen, mit Olivenöl und Zitrone das Dressing anzurühren, als mein Dad mit mehreren Plastiktüten hereinkommt, auf denen das orangefarbene Logo von Mega-Drugs prangt. Er stellt sie auf der Arbeitsplatte ab, schüttelt Anna die Hand und umarmt mich kurz.
»Das hätte ich niemals gedacht«, sagt er und deutet auf uns beide. »Es ergibt einfach zu viel Sinn.«
Wir lachen alle, dann fordert meine Mom meinen Dad auf, sich Annas Gebäck anzusehen. Er bricht ein Stückchen Zuckerguss von ihrem Muffin ab. Anna und meine Mom schreien sofort auf.
»He, das ist meiner«, weist meine Mutter ihn zurecht.
»Du hast den längsten Namen«, erklärt mein Vater.
Mein Dad bewegt sich humpelnd durch die Küche, und ich frage, was sein Rücken macht.
»Tut im Augenblick lausig weh. Ich musste den ganzen Nachmittag ein Loch für den neuen Rhododendron von deiner Mom graben.«
»Hier«, sagt meine Mutter. »Nimm dein Advil und hör auf zu jammern. Die Bewegung tut dir gut. Wegen dem Wahlkampf und George Masons Schulterproblemen hast du bestimmt schon seit Wochen keinen Sport mehr getrieben.« Normalerweise spielt mein Dad zweimal die Woche mit Richter Mason Squash, und er sieht etwas fülliger aus als sonst. Er legt die Tabletten, die meine Mom ihm reicht, auf die Arbeitsplatte, verschwindet dann ins Wohnzimmer und kommt mit einem Glas Wein für sie zurück.
»Hast du an die Horsd'ceuvres gedacht?«, fragt sie, als er zum Kühlschrank geht und sich selbst ein Bier nimmt.
»Abähr ja, Madame«, erklärt er mit übertrieben französischer Aussprache, wie er das schon gemacht hat, als ich noch ein Kind war. Er hat mittelalten Cheddar und italienische Salami gekauft, Leckerbissen für besondere Anlässe, obwohl meine Mom nicht viel davon essen wird. Sie schätzt die eingelegten Heringe, die er mitgebracht hat, aber auch davon wird sie nur ein oder zwei Gabeln essen, weil das Salz schlecht für ihren Blutdruck ist, daher hat mein Dad außerdem noch Joghurt gekauft, in den er Zwiebelsuppenpulver für einen Dip einrührt, während Anna und ich Möhren und Selleriestangen anrichten, die schon im Kühlschrank bereitstanden, sowie andere Sachen, die mein Vater besorgt hat.
Während wir alle arbeiten, fragt meine Mom Anna nach ihrem Job und dann übergangslos nach ihrer Familie.
»Einzelkind«, erklärt sie.
»Wie Nat. Wahrscheinlich eine wichtige Gemeinsamkeit.«
Anna hackt gerade eine Zwiebel für den Salat, wovon ihr die Augen tränen, und sie macht einen Witz darüber.
»So schlimm war meine Kindheit nun auch wieder nicht«, sagt sie.
Wir drei lachen schallend über die Bemerkung. Jetzt, wo es endlich so weit ist, scheint Anna sich gut zu schlagen. Ich verstehe das. Mehr Jahre, als ich zählen konnte, war ich in jedem Frühling der festen Überzeugung, dass ich nie lernen würde, wie man einen Baseball schlägt, und ich war absolut baff, als ich zum ersten Mal die Vibration des satten Aufpralls spürte und den Schläger summen hörte.
Anna umgeht weitere Fragen, indem sie sich bei meinem Dad nach seinem Wahlkampf erkundigt.
Während er die Salami schneidet, sagt er: »Ich kann den Namen John Harnason bald nicht mehr hören.«
Meine Mom wendet sich von der Arbeitsplatte ab und wirft meinem Dad einen Blick zu. »Die Sache ist unerträglich«, sagt sie. »Einfach unerträglich.«
Ich sehe Anna in die
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