Der letzte Bissen
zog Bastian von dem Mann weg. Der Inhalt des Plastikbechers hatte unübersehbar Spuren auf der Uniformjacke hinterlassen.
Der Polizist schaute sich die Sauerei an. »Du bezahlst die Reinigung, Bennecke.«
»Wenn Sie mich noch einmal duzen, zahle ich auch die Rechnung für den Zahnarzt!«
Der Polizist wankte zur Tür, er litt immer noch unter Atemnot. »Pass auf, wenn du das nächste Mal in die Gemeinschaftsdusche kommst«, sagte er zum Abschied. »Könnte sein, dass du auf der Seife ausrutschst.«
»Und?«, fragte Sarah, als sie wieder allein waren.
»Lange Geschichte. Ich erzähle sie dir beizeiten.«
Bastian starrte in seinen Kaffeebecher und Sarah hielt es für ratsam, ihn nicht dabei zu stören.
Bastians Gehirn leistete Schwerstarbeit. Vielleicht hatte seine Kollegin Recht. Vielleicht war es besser, diese Wache so schnell wie möglich zu verlassen und wieder einer Arbeit nachzugehen, die Spaß machte. Nicht dass er vor dem Segelohrenmann Angst hatte, mit Maulhelden wie ihm würde er immer fertig werden. Aber was war das für eine demütigende Beschäftigung, Imbisse zu checken, ob nicht doch im Tofu-Sandwich Spuren tierischer Fette zu finden waren.
Das Verbot der Tierhaltung und des Fleischkonsums war vielleicht eine gut gemeinte, hygienisch und ökologisch sinnvolle Maßnahme gewesen, aber wie so viele Gesetze und Verordnungen war sie von Fanatikern pervertiert worden.
Als ob man gute und schlechte Menschen dadurch unterscheiden konnte, ob sie beim Anblick eines Koteletts Speichel absonderten oder kotzen mussten. Vielleicht war es besser, den Job zu schmeißen, auf die Pensionsansprüche zu verzichten und Taxi zu fahren.
»Ich störe dich nur ungern beim Nachdenken«, sagte Sarah nun doch, »aber ich hätte gerne eine Entscheidung, ob ich auf dich zählen kann.«
»Führ deinen Krieg allein!«
»Also nein.«
»Ich wünsche dir Glück, und das meine ich ganz ehrlich. Pass auf dich auf!« Bastian stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss an die frische Luft. Wir sehen uns morgen, wenn du für den Job, für den du bezahlt wirst, dann noch Zeit hast.«
Bastian ließ sich über den Ku’damm treiben, ziellos, schlecht gelaunt, durstig. Hier hatte sich in den letzten Jahren nichts verändert, die Flaniermeile war noch immer das Einkaufsziel der Reichen und Schönen, für die die Friedrichstraße im früheren Osten weiter weg war als Warschau. Er bog ein in eine der Nebenstraßen mit stuckverzierten Fassaden und imposanten Hauseingängen.
Als er an der Filmkunst 66 vorbeikam, entschied er sich spontan für einen Kinobesuch. In der Nachmittagsvorstellung gab es eine französische Komödie mit Untertiteln. Seit sich die deutschen Filmproduzenten auf einen Ehrenkodex geeinigt und sogar Anspielungen auf Fleischverzehr aus den Drehbüchern gestrichen hatten, sah sich Bastian nur noch ausländische Filme an, in denen es immerhin noch ironische Dialoge über die Prohibition gab.
Er kaufte sich eine Eintrittskarte, eine Dose Bier und eine Tüte Studentenfutter. Anschließend organisierte er sich einen Plastikstuhl und setzte sich vor die Tür. Bis zum Beginn der Vorstellung war noch Zeit.
Aus einer Vinothek trat eine elegant gekleidete Frau. Sie war groß gewachsen, superschlank, mit langen blonden Haaren. Sie lächelte ihm zu, zog ein Handy aus ihrer Tasche und nahm ein Gespräch an.
Bastian fing ein paar Wortfetzen auf. »Ich habe einen Grauburgunder, Bopparder Hamm Feuerlay von Florian Weingart bekommen. Der passt hervorragend zum Perlhuhn...«
Bastian versuchte, sich vorzustellen, wie dieses Luxuswesen in einem dunklen Häusereingang bei einem Straßendealer ein Perlhuhn erstand. Es gelang ihm nicht. Sie kannte garantiert einen Dealer, der auf Bestellung den Kühlschrank mit Hasenrücken und Entenbrüsten füllte.
Auch während der Alkoholprohibition damals in den USA hatten die Reichen ihre Al Capones, Lucianos, Genoveses, Costellos und Lanskys, die sie mit Stoff versorgten.
Als die Frau an ihm vorbeiging, wurde ihm klar, dass ihr Lächeln nicht ihm galt. Ihre straff gespannte Gesichtshaut ließ kein anderes Mienenspiel zu. Die Frau hatte die fünfzig weit überschritten. Sie stieg in einen Porsche, der auf einem Behindertenparkplatz stand, ließ den Motor aufheulen und düste davon.
Von einem Moment auf den anderen stieg Wut in Bastian hoch. Wut auf die Ungerechtigkeit in dieser Welt.
Vor fast zwanzig Jahren war er angetreten, dagegen etwas zu unternehmen. Hatte Sarah Recht? War er
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