Der letzte Bissen
mir leid. Eine dringende Sache...«
»Es tut ihr leid«, höhnte Imogen. »Mir tut es leid, dass ich mich nicht auf dich verlassen kann. Tausend Leute haben nach dir gefragt und ich Depp musste sagen, dass ich nicht weiß, wo sich meine liebe Freundin herumtreibt.«
Er ging zum Kühlschrank und goss sich einen neuen Wodka ein.
»Es hat offenbar die Runde gemacht, dass sie dich mit Hähnchenschenkeln geschnappt haben«, lallte er. »Kannst du diese Scheiße nicht bald aus der Welt schaffen? Das macht sich echt nicht gut. Nächste Woche kommen zwei Redakteure von art & life, Homestory, mit Frau und so. Wenn die spitzkriegen, dass ich mit einer Frau zusammen bin, gegen die wegen Fleischkonsums ermittelt wird... Verstehst du, echt Scheiße!«
Sarah starrte ihn an, als habe er das Ende der Prohibition verkündet.
Imogen spürte, dass er einen Schritt zu weit gegangen war. »Komm, setz dich erst mal. Ich mache dir einen Drink.«
»Ich gehe ins Bad«, entgegnete Sarah kalt. »Und du denkst bitte darüber nach, was du gesagt hast.«
In dieser Nacht schlief sie auf dem Sofa.
22.
Ein Sonnenstrahl kitzelte Bastian. Er zog den Wecker zu sich heran.
Es war kurz nach sieben Uhr. Er hatte kaum vier Stunden geschlafen. Als er nach Hause gekommen war, hatte er sich noch an den Computer gesetzt und gechattet. Er hatte etwas gebraucht, was ihn zur Ruhe kommen ließ. Für Fleischabhängige gab es mehrere Chatrooms. Bastian loggte sich unter dem Decknamen Biolek ein, einem bekannten Fernsehkoch aus früheren Jahren, der wegen seines hartnäckigen Widerstands gegen die Prohibition seine letzten Jahre im Gefängnis verbracht und deshalb Märtyrerstatus erreicht hatte.
In einigen Chatrooms wurden vorzügliche Rezepte ausgetauscht, andere listeten die aktuellen Schwarzmarktpreise auf und warnten vor Razzien.
Nach zwei Gläsern Gin hatte sich Bastian in seinen Klamotten auf sein Bett gelegt und war eingeschlafen.
Nun duschte er ausgiebig und warf die Wäsche auf den großen Haufen. Es wurde mal wieder Zeit, eine Waschmaschine anzuwerfen. Im Kühlschrank lagen ein Stück ranzig gewordener Käse und eine Tomate mit weißen Flecken. Das Toastbrot auf der Anrichte hatte begonnen, sich in seine Einzelteile aufzulösen, der Löffel in der Kaffeedose war arbeitslos.
Also erledigte Bastian die nötigen Einkäufe im Supermarkt an der Ecke. Während er danach darauf wartete, dass die Kaffeemaschine ihren Job tat, blätterte er in der Berliner Zeitung.
Die Broccoliproduktion war um sechzehn Prozent gestiegen, die Kanzlerin von ihrem Staatsbesuch in Vietnam zurückgekehrt, das noch immer sozialistisch, aber seit zwei Wochen fleischlos war. Der VfL Bochum behauptete die Tabellenspitze, die Grünen hatten die Selbstauflösung beschlossen.
Im Lokalteil gab es einen Artikel über die Vernissage von Sarahs Freund. Imogen sah auf dem Foto besser aus als in Wirklichkeit. Aber gegen den attraktiven Eberwein neben ihm wirkte selbst der Künstler wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Auch den Mann auf dem Foto auf der nächsten Seite kannte Bastian. Er sah aus wie eine Wasserleiche.
Bastian entnahm dem Artikel, dass Gerd Froese am späten Nachmittag aus dem Landwehrkanal gefischt worden war. Die Polizei hatte festgestellt, dass der vorbestrafte Dealer einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, und bat um sachdienliche Hinweise.
Innerhalb von zwei Tagen waren am gleichen Ufer zwei Leichen angetrieben worden. Einhundertachtzig Kilometer Flüsse und Kanäle zogen sich durch Berlin. Der Mörder musste ein Faible für den Landwehrkanal haben.
Bastian nahm das Handy und wählte Sarahs Nummer.
23.
Willi hatte seinen Jungen zur Schule gebracht und sich dann am Straßenrand in ein Café gesetzt, um einen Kaffee zu trinken. Vor zwei Tagen hatte er Lobeshymnen auf den Schuppen gelesen. Der Laden war offenbar schon vor der Eröffnung so in gewesen, dass nach der Eröffnung keiner mehr hinging. Willi war der einzige Gast.
Er gaffte der hübschen Kellnerin nach, die seine Bestellung aufgenommen hatte. Er entschied, dass es für einen Flirt zu früh war, und blätterte in einer Tageszeitung. Der Berliner Senat empörte sich, dass eines der Wahrzeichen Berlins entweiht worden sei. Die Siegesgöttin Victoria, auf deren Schulter Otto Sander in dem Film Der Himmel über Berlin als Engel gesessen hatte, war am Abend zuvor Ziel eines terroristischen Anschlags geworden. Während zu Füßen der Siegessäule im Tiergarten Paprika und Tomaten geschmort
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