Der letzte Bissen
das Kuvert und reichte seinem Chef die Nachricht.
Der Alte las die Botschaft und reichte den Zettel dann an Samtlebe zurück.
»In einer Stunde?!«, sagte der Kellner. »Das ist nicht viel Zeit, etwas vorzubereiten.«
»Wir werden nichts vorbereiten. Wir geben dem Bergmann den Film und bringen meinen Sohn nach Hause.«
»Wir?«
Wollweber nickte. »Sie werden mich fahren!«
Zwanzig Minuten später begleitete ein Bankangestellter Günther Wollweber durch einen langen, fensterlosen Gang und schloss eine vergitterte Tür auf. In dem hell erleuchteten Raum dahinter standen ein rechteckiger Tisch und ein Holzstuhl, neben dem Tisch ein Papierkorb. Der Raum glich einer Gefängniszelle, nur die zahllosen Schließfächer an den Wänden unterschieden ihn davon.
Der Bankangestellte steckte einen Schlüssel in das Schließfach mit der Nummer 412. Es befand sich in einer der oberen Reihen. Der Bankmann drehte sich zu Wollweber um. Der war kein Sitzriese und hätte aufstehen müssen, um seinen Schlüssel benutzen zu können.
»Ich verstehe nicht, warum man Ihnen nicht längst ein anderes Schließfach zur Verfügung gestellt hat«, wunderte sich der Banker.
»Das geht schon in Ordnung«, sagte der alte Wollweber. »Bisher hat mein Sohn das Schließfach genutzt.«
Er reichte dem Mann seinen Schlüssel. Der öffnete das Fach, zog eine metallfarbene Kassette heraus und stellte sie auf den Tisch. »Rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind.«
Damit ließ er Wollweber allein.
Der Senior hob den Deckel der Kassette. Der Inhalt bestand aus einer einzigen DVD. Wollweber nahm sie und legte sie behutsam auf seine linke Handfläche.
Sie wog nur ein paar Gramm und war doch wertvoller als eine Kiste voller Gold. Mit dieser kleinen Scheibe hatte er die Welt verändern wollen. Sie hatte ihn vorübergehend zu einem der mächtigsten Männer Deutschlands gemacht, einen Krisenstab rund um die Uhr beschäftigt und der Kanzlerin schlaflose Nächte beschert. Und sie hatte bisher acht Leuten das Leben gekostet.
Wenn er den Film behalten und seinen Plan weiterverfolgen würde, war ihm ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Aber das würde auch bedeuten, dass er seinen Sohn im Leichenschauhaus Wiedersehen würde. Bei aller Macht der Welt, das war der Film nicht wert.
Günther Wollweber steckte die DVD in seine Jackentasche und klappte den Kassettendeckel wieder zu. Natürlich konnte niemand garantieren, dass der Bergmann Boris leben lassen würde, wenn er erst mal in den Besitz des Films gekommen war. Aber gab es eine Alternative?
60.
Bastian saß vor Liebischs Schreibtisch und wartete. Der Kriminalrat hatte durch seinen Assistenten ausrichten lassen, dass er noch in einer Sitzung sei und Bastian sich bitte gedulden möge.
Liebischs Büro war spartanisch eingerichtet. Schreibtisch, Stühle, Aktenschränke, eine Liege für lange Nächte. Anscheinend war es sein Stil, sein Arbeitszimmer von jeglicher persönlichen Note freizuhalten. Sogar das obligatorische Familienfoto auf dem Schreibtisch fehlte.
Bastian hatte lange über sein Gespräch mit Sarah nachgedacht. Zuerst hatte er sich geärgert, dass sie ihn hatte abblitzen lassen. Dann war ihm nach und nach klar geworden, dass sie Recht hatte. Allein gegen die Mafia war ein guter Filmtitel, aber nipht die Überschrift für sein Leben.
Die Tür öffnete sich und ein junger Streifenpolizist kam herein. »Ich wollte zu Kriminalrat Liebisch.«
»Der ist noch in einer Sitzung. Ich warte hier auch auf ihn.«
Bastian musterte den jungen Mann. Er war Mitte zwanzig und hatte eine Narbe an der Stirn, die er mit einem abenteuerlichen Haarschnitt zu kaschieren versuchte. Bastian erinnerte sich, er hatte dem Kollegen vor zwei Jahren bei einer Festnahme geholfen. Der Fall hatte den schlichten Zuschnitt eines Klassikers gehabt. Nach einem Streit um den letzten Fusel in einer Wodkaflasche war ein betrunkener Fernsehmechaniker mit einer Fonduegabel auf seine Ehefrau losgegangen und hatte ihre Innereien perforiert. Während die Nachbarn die Polizei informierten, war der Mann in seine Stammkneipe gegangen und hatte dort das Besäufnis fortgesetzt.
Bastian, Rippelmeyer und der junge Polizist hatten in der Wohnung auf die Spurensicherung gewartet, als der Kerl zurückgekommen war und nicht ihre Meinung teilte, dass er unter Tatverdacht stand. Wegen seines alkoholisierten Zustands hatten sie ihn unterschätzt. Der Kerl zog ein Butterfly-Messer und nahm den Streifenpolizisten als Geisel. Bastian und
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