Der letzte Bissen
Rippelmeyer hatten ihn schließlich überwältigen können, aber dem jungen Kollegen war ein Erinnerungsmal an diesen Einsatz geblieben.
»Wie läuft es denn so, Kollege Adrian?«, erkundigte sich Bastian.
»Ganz gut, Herr Hauptkommissar. Wir haben uns ja erst kürzlich getroffen, erinnern Sie sich?«
Bastian konnte nicht.
»Neulich nachts. Der Einsatz draußen bei der Fabrik. Als alles in die Luft flog.«
»Sie waren auch dabei?«
»Nicht an vorderster Front. Ich stand an der Straßensperre.«
»Seien Sie froh. Das hat ganz schön gerumst.«
Der Streifenpolizist nickte und schaute auf seine Armbanduhr.
Bastian spürte, dass der Kollege etwas auf dem Herzen hatte. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«
»Eigentlich muss ich jetzt meine Frau aus dem Krankenhaus abholen«, druckste der Polizist herum. »Wir haben eine Tochter bekommen.«
»Glückwunsch!«
»Danke.«
»Was steht dem im Weg?«
Der junge Mann trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich bin noch einmal zu der Fabrik gefahren. Ich hatte an dem Abend meine Mütze verloren und ich war mir sicher, dass sie irgendwo am Straßenrand liegen musste. Ich habe vor zwei Monaten schon mal eine verloren und wollte keinen Stress mit der Bekleidungskammer.«
»Haben Sie die Mütze gefunden?«
Der junge Vater grinste. »Sie lag tatsächlich noch da.«
»Dann ist doch alles geklärt!«
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Polizisten. »Da waren Leute. Ich habe zwei Autos gesehen. Ich bin nicht näher ran, aber irgendwas ist da los.«
»Da ist doch nichts mehr zu holen, kein Stein liegt mehr auf dem anderen...«
»Teile von dem Flachbau stehen noch.«
»Sie glauben, der Bergmann hat sein Lager reaktiviert?«
Der Kollege zuckte mit den Achseln.
Bastian stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie holen jetzt Ihre Frau und Ihr Kind ab. Ich werde Lie-bisch von Ihrer Beobachtung erzählen. Wenn er mehr wissen will, wird er Sie anrufen.«
Der junge Vater nickte dankbar und ging zur Tür.
»Wie soll die Kleine denn heißen?«
»Sarah.«
»Ein schöner Name! Grüßen Sie Ihre Frau.«
»Mach ich!«
Der glückliche Vater schloss die Tür hinter sich. Bastian nahm wieder vor dem Schreibtisch Platz und knetete seine Hände. Unruhig rutschte er auf dem Stuhl herum.
Als Kriminalrat Liebisch zehn Minuten später sein Büro betrat, war der Platz vor seinem Schreibtisch leer.
61.
Günther Wollweber dirigierte Samtlebe in den Norden der Stadt. Es war seit langer Zeit das erste Mal, dass nicht sein Sohn am Steuer des Wagens saß.
Bei der Auswahl seiner Männer hatte Wollweber stets eine gute Hand bewiesen. Samtlebe hatte vor über zehn Jahren als Lkw-Fahrer bei ihm angefangen. Er war pünktlich und zuverlässig. Und er konnte mit der Faust zulangen, wenn es sich im Streit mit anderen Brummifahrern nicht vermeiden ließ.
Später war er in der Disposition eingesetzt worden und Wollweber konnte sich nicht erinnern, dass es irgendwann Probleme gegeben hatte, weder mit den Fahrern noch mit den Kunden. Als Wollwebers Fleischfabrik vor vier Jahren geschlossen worden war und sie Vorbereitungen für die Illegalität getroffen hatten, war es für Samtlebe selbstverständlich gewesen, dabeizubleiben. Seiner Aufmerksamkeit und seinem latenten Misstrauen Fremden gegenüber verdankten sie, dass in der Anfangsphase zwei V-Männer der Polizei enttarnt werden konnten. Ihre Entsorgung hatte Samtlebe übernommen.
Vor einigen Monaten hatte Wollweber über einen Strohmann das Restaurant Artischocke gekauft. Das vegetarische Spitzenrestaurant war die perfekte Tarnung für Wollwebers Residenz im Zentrum Berlins. Er ließ Samtlebe in einem Crashkurs zum Kellner ausbilden und der schien in seiner neuen Rolle aufzugehen; nie hatte Wollweber ein Wort der Klage gehört.
Dass der Mann verheiratet war und eine Tochter hatte, hatte er nur durch Zufall erfahren. Samtlebe war schweigsam wie ein Grab und ging zum Lachen in den Keller.
Daher erstaunte es Wollweber umso mehr, dass Samtlebe das Wort an ihn richtete, als sie das Ortsausgangsschild passierten. »Und wenn das Ganze eine Falle ist?«
»Wie meinen Sie das?«
Samtlebe ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich weiß nicht, ich habe ein ganz komisches Gefühl. So ein Gefühl, als ob ich den Tag nicht überleben werde.«
Wollweber musterte seinen Fahrer. »Sie haben Angst? Das kenne ich gar nicht von Ihnen.«
»Ich auch nicht«, sagte Samtlebe. »Das ist es ja, was mich beunruhigt.«
»Wenn Sie das eher
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