Der Letzte Bus Nach Woodstock
Zeit, wenn auch nicht direkt am Tatort, so doch in derselben Gegend gewesen. Es wäre durchaus nicht erstaunlich, wenn sie es mit der Angst zu tun bekommen hätte. Nur war das allein wirklich Grund genug zu versuchen, ihn anzulügen? Er griff nach dem Telefon und wählte die Nummer der Golden Rose in Begbroke. Der Wirt war selbst am Apparat. Er war freundlich und überaus entgegenkommend. Am vergangenen Mittwoch habe seine Frau in der Lounge bedient. Ob es wohl möglich sei, daß sie nach Kidlington ins Präsidium komme? Aber selbstverständlich. Er könne sie gleich hinfahren. Sehr schön. Dann bis in einer Viertelstunde.
»Können Sie sich an eine junge Dame erinnern, die letzten Mittwoch bei Ihnen in der Lounge war? Allein. So gegen sieben.«
Die Wirtin, eine imposante Erscheinung mit mehreren Ringen an den Fingern und einem ausladenden Busen, war sich nicht sicher.
»Aber es kommt doch vermutlich nicht sehr häufig vor, daß eine Frau allein, ohne Begleitung, einen Pub aufsucht? Das fällt Ihnen doch bestimmt auf?«
»Sehr häufig nicht, das ist richtig. Aber ganz so ungewöhnlich ist es heutzutage auch nicht mehr, Inspector. Sie würden sich wundern!«
Das glaubte Morse nun nicht. Er wunderte sich seit langem schon über gar nichts mehr. »Halten Sie es für möglich, daß Sie sie wiedererkennen, wenn Sie sie sehen – auch wenn sie nur eine halbe Stunde oder so bei Ihnen hereingeschaut hat?«
»Doch, das denke ich schon.«
Morse rief Lewis an, der mit Jennifer im Vernehmungszimmer gewartet hatte.
»Bringen Sie Miss Coleby jetzt nach Hause, Lewis.«
Die Wirtin der Golden Rose stand neben Morse in einer Ecke der Eingangshalle, als Jennifer, von Lewis begleitet, das Gebäude verließ.
»War dieses Mädchen am Mittwochabend bei Ihnen?«
»Ich glaube, ja.«
Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu bedanken. »Sie haben uns sehr geholfen.«
»Das freut mich, Inspector.«
Morse begleitete sie bis ans Portal. Er hatte eine letzte Frage. »Können Sie sich auch noch erinnern, was sie getrunken hat?«
»Lassen Sie mich überlegen. Ich meine, es wäre ein Bier mit Limo gewesen. Ja, ganz sicher. Bier mit Limo.«
Lewis war nach einer halben Stunde zurück. »Glauben Sie ihr, Sir?«
Morse schüttelte den Kopf. »Nein.« Doch war er mehr frustriert als niedergeschlagen. Wenn er ehrlich war, so mußte er zugeben, daß es nicht zuletzt seinen Untersuchungsmethoden zuzuschreiben war, wenn sie jetzt mit ihren Ermittlungen festsaßen. Er hatte sich geweigert, mehr Leute anzufordern, obwohl man es ihm nahegelegt hatte. Die Folge davon war, daß sie erst einem Bruchteil der vorhandenen Ansatzpunkte nachgegangen waren. Um diesen jungen Mann zum Beispiel, Sanders, hatte er sich seit der Vernehmung am Abend der Tat überhaupt nicht mehr gekümmert. Bei einer auch oberflächlichen Überprüfung dessen, was er bisher unternommen hatte, würde man ihm sofort vorwerfen, daß sein Herangehen an diesen Fall wieder einmal reichlich unorthodox sei. Manche würden es vielleicht sogar als nachlässig bezeichnen. Dabei hatte er selbst erst letzten Monat in einem Vortrag vor Kollegen betont, wie wichtig es bei der polizeilichen Arbeit sei, allen Spuren konsequent und sorgfältig nachzugehen. Und zwar gleich von Anfang an.
Doch allen theoretischen Erkenntnissen zum Trotz sagte ihm sein Gefühl (ein Faktor, den er in seinem Referat lieber unerwähnt gelassen hatte), daß sie sich mit ihren Ermittlungen immer noch in die richtige Richtung bewegten, und er konnte es durchaus vor sich rechtfertigen, daß er Jennifer hatte gehen lassen. Wenn auch sein heutiger Schuß aufs Tor zugegebenermaßen sehr gekonnt abgewehrt worden war – er würde seinen Treffer schon noch erzielen. Davon war er fest überzeugt.
Morse und Lewis verbrachten die nächsten beiden Stunden damit, ihre Notizen und Eindrücke über Jennifers Vernehmung auszutauschen. Morse war vor allem daran interessiert, von Lewis zu erfahren, wie er ihr Verhalten, ihre ausweichenden Blicke, ihre fahrigen Gesten deutete.
»Sie glauben doch auch, daß sie lügt, Lewis, oder?«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Also, ich habe da gar keine Zweifel. In meinem Alter hat man eben ein untrügliches Gespür für solche falschen Töne.«
Lewis überzeugte das nicht, zumal er der Ältere von beiden war. Sie schwiegen.
»Und was jetzt?« fragte Lewis schließlich.
»Wir greifen von der anderen Seite her an.«
»Aha.«
»Ja. Ich gehe davon aus, daß es einen Mann gibt,
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