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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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jedesmal, wenn er sie zanken hörte, wütend dazwischenfuhr. Zwar wurde er seiner Frau gegenüber nicht müde zu betonen, James und Caroline befänden sich in einem vorübergehenden Stadium, das alle Kinder im Zuge ihrer Entwicklung durchmachten, doch insgeheim quälten ihn Zweifel, ob die übellaunige Gehässigkeit und aggressive Lustlosigkeit der beiden wirklich nur ihrem Alter zuzuschreiben waren. An diesem Abend allerdings stellten die Kinder für ihn wie auch für Margaret die geringste Sorge dar.
     
    Das Bankett sollte um halb acht beginnen. Bernard war jedoch eine halbe Stunde früher gekommen, weil er vorher noch bei Peter Newlove hereinschauen wollte. Er goß sich einen Gin mit Martini ein und ließ sich in einem von Peters alten Sesseln nieder, dessen farbiger Bezug über die Jahre zu einem undefinierbaren Braun-Grün verblichen war. Daß Tompsett sich jetzt im Ruhestand befand … Bernard mochte ihn irgendwie. Eins war sicher – der hatte sich nichts entgehen lassen. Noch immer aß und trank er leidenschaftlich, und wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte – und so ganz aus der Luft gegriffen waren sie ja meistens nicht –, sollte er früher noch einer dritten Leidenschaft gefrönt haben. Für das College war er zweifellos ein großer Glücksfall gewesen. Er wußte wie kein zweiter über Verzinsungen und Anlagen Bescheid, und seinem Rat war es zu danken, daß das Collegevermögen Anfang der sechziger Jahre in Grundstückskäufe investiert worden war – zu einer Zeit, als die Preise noch günstig waren. Sein Ruf als Finanzexperte war legendär. Für einen Universitätsmann schon sehr ungewöhnlich. Bernard leerte sein Glas und zog sich den Talar über. Im Dozentenzimmer wurde jetzt bestimmt den ersten Gästen schon der Sherry gereicht. Bernard und Peter hielten es für an der Zeit, dort ebenfalls aufzutauchen.
    »Hallo, Bernard! Wie geht es dir?« Felix begrüßte seinen früheren Kollegen mit ehrlicher Freude.
    »Ach, ich kann nicht klagen«, antwortete Bernard mit etwas müdem Lächeln.
    »Und was macht deine reizende Frau?«
    Bernard griff nach einem Sherry. »Der geht’s auch gut. Danke.«
    »So eine entzückende Person …« Das Thema Margaret schien es Tompsett heute abend angetan zu haben. Der bereits reichlich genossene Alkohol zeigte seine Wirkung. Bernard war nicht in der Stimmung, sich das anzuhören, und schaltete innerlich ab. Er machte sich seine eigenen Gedanken um Margaret – ach, Margaret … Felix hatte endlich das Thema gewechselt und zitierte einen obszönen Spruch, den er vor kurzem auf der Herrentoilette in der Bar des Minister entdeckt hatte. Bernard bekam den Schluß noch mit, so daß er sich im richtigen Augenblick dem Gelächter der anderen anschließen konnte.
    »Darauf muß man erst mal kommen, was?« wieherte Felix lautstark.
    Man wechselte zum Essen in den angrenzenden Saal und nahm an der festlich gedeckten Tafel Platz. Bernard fand seit langem, daß bei derartigen Anlässen immer viel zuviel aufgetischt wurde, und das Mahl heute war eher noch üppiger als sonst. Die Folge der Gänge schien kein Ende zu nehmen. Pampelmusencocktail, Schildkrötensuppe, geräucherter Lachs, Tournedos Rossini, dann Kuchen und Käse, schließlich noch Obst. Hier geben wir uns nun der Völlerei hin, während es überall auf der Welt Menschen gibt, die seit Wochen oder Monaten nicht mehr richtig satt geworden sind. Die entsetzlichen Bilder von zu Skeletten abgemagerten Opfern der Hungerkatastrophe in Asien und Afrika standen ihm wieder deutlich vor Augen.
    »Sie sind ja so still heute abend«, bemerkte der Kaplan, während er ihm den Bordeaux weiterreichte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Bernard und deutete auf den übervollen Tisch: »Das viele Essen und Trinken hier. Ich denke immer, daß solche Verschwendung Unrecht ist.«
    »Was Gott Ihnen schenkt, das sollten Sie auch annehmen und dankbar dafür sein, mein Junge. Und gerade, was die Genüsse des Gaumens angeht, so muß ich Ihnen gestehen, daß ich sie – je älter ich werde – um so höher schätzen lerne. Die Genüsse des Gaumens und die Freude am Anblick natürlicher Schönheit – das ist das, was bleibt.«
    Er lehnte sich behaglich zurück und faltete zufrieden die Hände über seinem stattlichen Bauch. Bernard hatte einmal gelesen, daß Dickleibigkeit nicht unbedingt etwas damit zu tun hatte, wieviel einer aß. Es konnte auch eine Stoffwechselstörung sein. Aber in Bergen-Belsen hatte es bestimmt keine dicken Männer

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