Der Letzte Bus Nach Woodstock
Bus ziemlich leer ist. Er sucht sich einen Platz und starrt abwesend vor sich hin.
An der Haltestelle bei der Eisenbahnbrücke, dort, wo der Bus nach rechts ausbiegen muß, um nicht gegen die eisernen Stützpfeiler zu schrammen, steigt er aus, schlüpft hinter der schäbigen Häuserzeile in eine unscheinbare Nebenstraße und verschwindet dort in einem kleinen, schmuddeligen Laden, von dessen Fassade der Regen die Farbe fast abgewaschen hat. Die Aufschrift über der Tür Baines – Tabakwaren und Zeitungen ist kaum noch lesbar und trifft außerdem nicht mehr ganz zu. Die Jahre, als Mr. Baines noch einen Trupp von fixen Jungen und Mädchen beschäftigte, die morgens in aller Herrgottsfrühe und noch einmal am Nachmittag Zeitungen für ihn austrugen, ist lange vorbei. Sein Angebot an Zigaretten beschränkt sich auf ein halbes Dutzend der gängigsten Marken. Man sucht bei ihm vergeblich nach Geburtstagskarten, und er führt weder Eis noch Süßigkeiten. Mr. Baines ist ein gewiefter Mann und hat beizeiten herausgefunden, daß unter Umständen eine einzige, gänzlich unkomplizierte Transaktion wesentlich einträglicher sein kann als der Verkauf von – sagen wir – tausend Zigaretten oder ein Tageserlös aus dem Zeitungsgeschäft. Vorausgesetzt, man handelt mit der richtigen Ware. Mr. Baines hat sich auf harte Pornographie spezialisiert.
Rechts von der Tür drängen sich mehrere Kunden und durchblättern knallig aufgemachte Hefte, die mit Titel wie › Nackt und naiv ‹ , › Wilde Wollust ‹ , › Sünde unter Seide ‹ der sexuellen Phantasie Nahrung geben sollen. Obwohl die in aufreizenden Posen fotografierten halbnackten Körper und die unverhüllten Darstellungen gegen- und gleichgeschlechtlicher Aktivitäten darauf abzielen, den Betrachter zu provozieren, wirkt Mr. Baines’ Klientel merkwürdig unbeteiligt, fast gelangweilt. Dies ist jedoch nur Camouflage und dem von Mr. Baines ausgehängten Hinweis geschuldet, der da lautet: Das Ansehen der Hefte ist nur zu Kaufzwecken g e stattet. Der junge Mann hat für die herumliegenden Magazine nicht mehr als einen flüchtigen Blick übrig und geht, ohne zu zögern, gleich auf Mrs. Baines zu, die, hinter dem Ladentisch sitzend, alle Bewegungen ihrer Kunden wie mit Argusaugen verfolgt. Er verlangt in beiläufigem Ton eine Schachtel Zigaretten der Marke Embassy und schiebt ihr dabei unauffällig das mitgebrachte Päckchen und ein paar Geldscheine zu. Sie läßt beides mit schnellem Griff verschwinden, um ihm sogleich ein neues, das dem abgegebenen zum Verwechseln ähnlich ist, auszuhändigen. Niemand hat etwas gemerkt. Mr. Baines hätte an der reibungslosen Abwicklung des Geschäfts seine Freude gehabt. Das Päckchen in der Manteltasche, verläßt der junge Mann den Laden.
Er geht in den Pub The Bookbinder ’ s Arms gleich gegenüber und bestellt sich dort ein Käsesandwich und ein großes Guiness. In knapp vier Stunden hat er Feierabend, und die Fahrt nach Woodstock ist, seit sie den neuen Abschnitt der Umgehungsstraße für den Verkehr freigegeben haben, um einiges kürzer geworden. Seine Mutter wird das Abendessen für ihn fertig haben. Danach kann er sich auf sein Zimmer zurückziehen. Dort ist er ungestört. Wenn das möglich wäre, würde er sich die Magazine sofort ansehen, doch ist das Wartenmüssen für ihn auch lustvoll. Es versetzt ihn in einen Zustand erregter Spannung, den er fast ebenso auskostet wie die Sache selbst. Er opfert für das wöchentliche Päckchen einen Großteil seines Geldes, doch weil ihm für die Hefte, die er zurückbringt, jeweils der halbe Preis auf den neuen Kauf angerechnet wird, hat er nicht das Gefühl, daß er zu teuer bezahlt.
Manchmal überfällt ihn Scham, wenn auch nicht so häufig wie früher und weniger heftig. Er spürt undeutlich, daß sein Drang, sich durch krude pornographische Darstellungen in heimliche Ekstase versetzen zu lassen, alle anderen Gefühle abstumpft und ihn isoliert. Dieser Drang ist wie ein Moloch, der unaufhörlich in ihm wächst und dessen Hunger zu befriedigen immer schwieriger wird. Er leidet unter ihm und ist ihm doch verfallen.
Punkt zwei steht Mr. John Sanders wieder im Lager für Kunststoffplatten, und durch die geschlossene Tür hindurch ist draußen auf dem Hof erneut das ohrenbetäubende Kreischen der Säge zu vernehmen.
Mittwoch abends zwischen 18 Uhr 30 und 21 Uhr war bei den Crowthers gewöhnlich niemand anzutreffen. Mrs. Crowther besuchte ihren Volkshochschulkurs für Alte Geschichte,
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