Der Letzte Bus Nach Woodstock
mal, ob du mich nicht vielleicht doch vergewaltigen kannst.«
Das schrille Klingeln des Telefons ließ beide zusammenfahren. Verdammt!
»Ja. Hallo, Bernard … Was? … Nein, nein überhaupt nicht … Ach, nichts Besonderes … Wegen heute abend, meinst du? So gegen Viertel nach sieben, denke ich. Hol mich doch ab, dann können wir vorher noch einen Schluck bei mir trinken … Gut … Felix? Der hat, glaube ich, schon einiges intus … Ja. Natürlich, also dann bis heute abend.«
»Wer ist Bernard?«
»Einer von den Fellows hier. Lehrt Englisch. Netter Kerl. Hat sich ja eben wirklich genau den falschen Moment ausgesucht.«
»Lebt er auch hier im College?«
»Bernard? Nein. Er ist seit ewigen Zeiten verheiratet und hat Familie. Einer von den ruhigen Typen. Er wohnt in Nord-Oxford.«
»Also auch keiner, der Frauen vergewaltigt?«
»Nein, der bestimmt nicht. Auf die Idee bin ich bisher jedenfalls noch nie gekommen …« Er runzelte nachdenklich die Stirn.
»Dieser Bernard kann sich aber wirklich glücklich schätzen, daß er so einen diskreten Freund hat.«
»Wieso denkst du …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Sie hatte sich an ihn gedrängt und begann, ihn zärtlich und mit Erfolg zu verführen. Mr. Bernard Crowther, Familienvater aus Nord-Oxford, war für den Augenblick kein Thema mehr.
Teil zwei
Ein Mann wird gesucht
Kapitel 11 – Mittwoch, 6. Oktober
Die Botley Road beginnt als enge Straße unter einer niedrigen, nur knapp 3,70m hohen Eisenbahnbrücke und verläuft auf mehrere hundert Meter zwischen heruntergekommenen Reihenhäusern, bis sie sich allmählich verbreitert und dann zu einer Schnellstraße mit Mittelstreifen wird, die Oxford mit dem südwestlich gelegenen Faringdon und Swindon sowie den verschiedenen kleineren Orten dazwischen verbindet. Die enge Bebauung ist aufgegeben, und an Stelle der tristen Häuserreihen finden sich die nüchternen Zweckbauten mittlerer Unternehmen, die Oxford den Rücken gekehrt und sich hier angesiedelt haben.
Chalkley & Söhne befindet sich in einem zweistöckigen Komplex mit mehreren Nebengebäuden. Die Firma handelt mit Artikeln des Sanitär- und Elektrobedarfs, Tapeten, Farben sowie Holz- und Kunststoffplatten, Leisten und Kleinmöbeln und ist bei den Handwerkern wie auch bei den Freizeitbastlern aus Oxford und Umgebung gut eingeführt. Im Erdgeschoß weist ein Schild am hinteren Ende des Verkaufsraumes die Kunden darauf hin, daß beschichtete Kunststoffplatten gegenüber im Lager zugeschnitten werden. Zweiter Eingang von links.
Dort legt gerade ein junger Mann eine Platte auf einen Holztisch, dessen Mitte der Länge nach von einer tiefen, rechteckigen Kerbe durchschnitten wird. Er zieht die auf einem Schlitten montierte elektrische Säge zu sich herüber und setzt sie auf der vorher von ihm markierten Stelle an. Mit geübten Handgriffen mißt er noch einmal nach – es stimmt. Er betätigt einen Schalter, und die Säge beginnt mit schrillem Ton, sich vorwärtszufressen. Befriedigt verfolgt der junge Mann, wie sie schnell und präzise durch die Platte fährt. Der Vorgang wiederholt sich noch einige Male. Er lehnt die verschiedenen Stücke alle ordentlich gegen die Wand. Dann sieht er auf die Uhr. Gleich Viertel vor eins. Zeit für die Pause. Er schließt die Schiebetür hinter sich ab, geht in den Waschraum, wäscht sich die Hände, kämmt sich und tritt mit einem Aufatmen auf die Straße. Ein und eine Viertelstunde ist er jetzt frei. Er klopft, um sich noch einmal zu vergewissern, mit seiner rechten Hand gegen die etwas ausgebeulte Manteltasche – das Päckchen ist noch da.
Obwohl er zu Fuß nicht länger als zehn Minuten brauchen würde, beschließt er, den Bus zu nehmen. Er wechselt auf die andere Straßenseite und überquert dabei eine Vielzahl von Markierungen – fortlaufende Linien, unterbrochene Linien, breite und schmale, gelbe und weiße – nicht unähnlich der vergrößerten Legende einer Landkarte. Und es werden immer mehr. Erst kürzlich ist durch die Einrichtung einer Busspur eine neue hinzugekommen. Der Bus kommt fast sofort. Ein verdrießlicher Pakistani, Fahrer und Schaffner in einer Person, schiebt ihm, ohne aufzublicken, den Fahrschein zu. Der junge Mann hofft jedesmal, daß der Bus möglichst voll ist, damit es nicht auffällt, wenn er sich zu einem der Mädchen in Minirock und kniehohen Stiefeln setzt. Um diese Zeit fahren viele von ihnen zum Mittagessen in die Stadt zurück. Enttäuscht stellt er fest, daß der
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