Der Letzte Bus Nach Woodstock
und die Kinder James und Caroline tobten sich auf der wöchentlichen Disco im Nachbarschaftszentrum aus. Bei der qualvollen Enge, die dort herrschte, ein eher zweifelhaftes Vergnügen.
Margaret fuhr immer sehr rechtzeitig los, zum einen, um nicht zu schnell fahren zu müssen, vor allem jedoch, um sich einen gut beleuchteten Parkplatz für ihren Mini zu sichern, den sie hütete wie ihren Augapfel. Nicht nur, weil er noch sehr neu war, sondern weil das Fahren in ihrem ersten eigenen Auto ihr ein nie gekanntes Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit vermittelte. Mit großer Vorsicht und sehr behutsam setzte sie rückwärts aus der Garage. Bis vor wenigen Monaten hatte Bernards Morris 1100 dort gestanden, doch hatte er sich auf ihre Bitte hin dazu bereit erklärt, seinen Wagen in der Einfahrt abzustellen. Sie war am Steuer noch nicht sehr sicher und fühlte besonders im Dunkeln so etwas wie Beklemmung, aber die Freude zu fahren, selbst zu fahren, überwog. Auf der Umgehungsstraße mußte sie wie immer erst einmal tief Luft holen und verkrampfte sich vor Anspannung. Jeder einzelne der in kurzen Abständen an ihr vorbeirasenden Wagen ließ sie innerlich zusammenzucken, und sie mußte sich jedesmal zwingen, ihr eigenes ruhiges Tempo beizubehalten und nicht, ihrem Schreckimpuls folgend, auf die Bremse zu treten. Sie sah sich umgeben von Fahrern, die selbstsicher waren bis zur Rücksichtslosigkeit. Sie zog ihren Sicherheitsgurt fest und riskierte einen schnellen Blick zum Armaturenbrett, um sich zu überzeugen, daß sie auch wirklich das Abblendlicht eingeschaltet hatte. Die kurze Überprüfung diente nur ihrer Beruhigung, denn sie fuhr sowieso nie mit Fernlicht. Der Gedanke, sie könnte aus irgendeinem Grund überraschend gezwungen sein, abblenden zu müssen und dann in ihrer Aufregung womöglich die falsche Schalterstellung zu erwischen und plötzlich ganz ohne Licht unterwegs zu sein, war eine Art Zwangsvorstellung bei ihr. Sie steuerte geschickt, wenn auch nervös durch den Kreisverkehr bei Headington und atmete erleichtert auf. Der Rest der Fahrt war ein Kinderspiel.
Als ihr zum erstenmal der Gedanke an Selbstmord gekommen war, hatte sie sich vorgestellt, das Auto dazu zu benutzen. Inzwischen war ihr klargeworden, daß diese Möglichkeit ihren Gefühlen und Instinkten zuwiderlief. Sich töten, ja, aber nicht so. Abgesehen davon, daß es ihr – so merkwürdig das klingen mochte – leid getan hätte um den Mini, nun wohl Bernards letztes Geschenk an sie. Es würde sich schon noch ein anderer Weg finden.
Sie parkte sorgfältig ein und überzeugte sich beim Aussteigen, daß das Auto nicht zu schräg stand und sie zu den Wagen rechts und links genügend Abstand gelassen hatte. Mit schnellen Schritten ging sie auf das große vierstöckige Gebäude zu, dessen Vorderfront fast nur aus Glas zu bestehen schien. Am Eingang wurde sie von Mrs. Palmer begrüßt, die sie hatte kommen sehen und auf sie gewartet hatte.
»Guten Abend, Mrs. Crowther. Schön, daß Sie wieder da sind. Wir haben Sie letzte Woche vermißt. Ging es Ihnen nicht gut?«
»Was ist denn bloß los mit denen?« fragte James. Seine Stimme klang unglücklich. Bernard hatte eine Viertelstunde nach Margaret das Haus verlassen und war mit dem Bus zum Lonsdale College gefahren. Er nahm dort gewöhnlich ein- bis zweimal pro Woche am gemeinsamen Abendessen teil. Heute allerdings folgte er der Einladung zu einem Festbankett für Felix Tompsett, der noch einmal für seine Verdienste als langjähriger Professor und stellvertretender Rektor des Colleges geehrt werden sollte. Die Kinder waren sich selbst überlassen.
»Wieso? Was soll schon los sein?« gab Caroline zurück.
»Die sprechen fast gar nicht mehr miteinander.«
»Das ist bei allen Ehepaaren so, wenn sie lange verheiratet sind.«
»Früher war das aber anders!«
»Na, du trägst doch auch nicht gerade zur guten Stimmung bei.«
»Du etwa?«
»Jedenfalls mehr als du.«
»Ach, halt doch die Klappe, du blöde Kuh.«
»Giftzwerg.«
»Du kannst mich mal kreuzweise …«
In der letzten Zeit endeten alle ihre Gespräche unweigerlich mit Streit. Ihr Vorrat an beleidigenden Ausdrücken war offenbar unerschöpflich. In Gegenwart ihres Vaters oder ihrer Mutter unterließen sie jedoch allzu drastische Äußerungen – die beiden glaubten nämlich noch an gutes Benehmen. Ihren Eltern reichte es auch so. Margaret zergrübelte sich den Kopf, was sie bei der Erziehung anders hätte machen sollen, während Bernard
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