Der Letzte Bus Nach Woodstock
alter Schulfreund von ihr sei am Apparat«, krächzte Morse genervt.
»Ich werde es ihr ausrichten, Inspector.« O nein!
Er hörte sie rufen. »Sue! Su–ue! Telefon für dich. Ein alter Schulfreund.«
»Hallo. Sue Widdowson.«
»Hallo.« Er hatte vorher nicht überlegt, wie er sich melden sollte, und zögerte einen Moment. »Guten Abend, Miss Widdowson. Morse hier. Ich wollte Sie fragen, ob es Ihnen recht wäre, morgen abend mit mir ins Sheridan zu gehen. Candle-Light-Dinner mit Tanz. Ich habe schon zwei Karten für uns bestellt. Was meinen Sie dazu?«
»Ach, wunderbar.« Er mochte ihre Stimme. »Ein paar Bekannte von mir werden auch dort sein. Das wird bestimmt ein schöner Abend. Ich freue mich.«
Morse war die Freude vergangen. »Ich hoffe, die Zahl Ihrer Bekannten hält sich in Grenzen, sonst sehe ich Sie am Ende den ganzen Abend immer nur von weitem.« Es sollte sich leichthin anhören.
»Ein paar werden es schon sein«, gab sie zu.
»Dann gehen wir doch besser woanders hin. Schlagen Sie etwas vor.«
»Das wäre aber schade. Und wo Sie jetzt schon die Karten haben … Es wird Ihnen bestimmt gefallen – Sie werden sehen.«
Morse fragte sich, ob er es wohl noch einmal lernen würde, seine wirklichen Wünsche zu äußern. »Sie haben mich überzeugt. Ich habe mir übrigens gedacht, daß ich Sie eigentlich doch abholen könnte. Wäre Ihnen das recht?«
»Ja. Sehr gern. Ich hätte sonst Jennifer gebeten, ob sie mich bringen könnte, aber wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
»Also abgemacht. Ich werde um Viertel nach sieben da sein.«
»Gut. Muß ich im Abendkleid erscheinen?«
Da war Morse überfragt.
»Macht nichts – das kann ich leicht herausfinden.«
Braucht ja bloß einen von den vielen Bekannten zu fragen, dachte Morse bitter. »Dann bis morgen. Ich freue mich schon.«
»Ich mich auch.« Sie hatte so schnell den Hörer aufgelegt, daß er keine Gelegenheit mehr fand zu dem intimeren Ton, den er sich für den Abschied aufgehoben hatte. Freute er sich wirklich? Derartige Festivitäten hinterließen oft einen schalen Nachgeschmack. Aber nun war es zu spät. Entweder es würde ihm guttun, oder es geschähe ihm ganz recht. Eins von beiden. Auf jeden Fall würde es etwas Anständiges zu essen geben, und wieder einmal ein junges Mädchen im Arm zu halten und das Tanzbein zu schwingen … Oh, verdammt, verdammt! Er hatte ja überhaupt nicht mehr an seinen Fuß gedacht. Hatte er denn völlig den Verstand verloren? Miss Widdowson zum Walzer zu bitten, war genauso ausgeschlossen, wie einen Rabbi zu Schweinebraten einzuladen. Er verzog angewidert das Gesicht. Selbst der Vergleich hinkte. Er humpelte in die Eingangshalle. »Besorgen Sie mir einen Wagen, Sergeant.«
»Sie müssen ein paar Minuten warten, Sir. Wir haben Anweisung …«
»Ich brauche den Wagen jetzt, Sergeant, und wenn ich sage jetzt , dann heißt das sofort .« Er war wohl etwas laut geworden, denn etliche Köpfe fuhren herum. Der diensthabende Sergeant griff nach dem Telefon. »Ich warte draußen«, sagte Morse.
»Soll ich Ihnen helfen, Sir?« Der Sergeant kannte Morse seit Jahren und war kein nachtragender Mann. Morse sah ihn an. Er war mißgelaunt und unzufrieden mit sich und fand, er hatte auch wirklich allen Grund dazu. Aber er mußte seinen Ärger ja schließlich nicht an seiner Umgebung auslassen. Und dazu noch an dem Sergeant, mit dem er sich bisher immer ausgesprochen gut verstanden hatte.
»Ja, Sergeant, vielen Dank. Das wäre sehr freundlich von Ihnen.« Das war kein guter Tag für ihn gewesen.
Kapitel 17 – Mittwoch, 13. Oktober, vormittags
In den frühen Morgenstunden des Mittwochs war überraschend ein Sturm über Oxford hinweggefegt und hinterließ in seinem Gefolge umgestürzte Schornsteine, geknickte Fernsehantennen und abgedeckte Hausdächer. Morse erfuhr davon gegen sieben Uhr, als er schlaftrunken das Morgenmagazin einschaltete. Das Kofferradio stand zusammen mit dem Telefon und dem Wecker gleich neben seinem Bett auf dem Nachttisch. Der Schwerpunkt der Verwüstungen lag in Kidlington, Oxon. Eine Mrs. Winifred Fisher hatte sich nur mit knapper Not retten können, als das Dach ihrer Garage aus seiner Verankerung gerissen und durch ihr Schlafzimmerfenster gedrückt worden war. »Ich finde keine Worte dafür. Es war entsetzlich.«
Morse stand auf, zog den Vorhang ein Stück zur Seite und spähte hinaus. Seine Garage schien von dem Sturm verschont geblieben zu sein. Er mußte sehr fest geschlafen haben, daß er
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