Der Letzte Bus Nach Woodstock
gemietet.
»Gute Autos – diese Fiats«, bemerkte Morse.
»Besser als englische?« fragte Sue.
»Weniger reparaturanfällig, habe ich gehört. Aber wenn mal was sein sollte – Jennifer hat es ja nicht weit bis zur nächsten Werkstatt.« Er hoffte, es hörte sich beiläufig an, aber sonst war es jetzt auch egal.
»Ja, Barkers ist gleich hier um die Ecke.«
»Ich war mit ihnen immer sehr zufrieden.«
»Jennifer, glaub ich, auch«, sagte Sue.
»Dann mache ich mich jetzt wohl am besten auf den Weg.«
»Du möchtest wirklich nicht auf einen Kaffee hereinkommen?«
»Nein. Wirklich nicht.«
Sue nahm leicht seine Hand in die ihren. »Ich werde mich heute abend in den Schlaf weinen.«
»Sag so etwas nicht!« Der Abschied von ihr war schon schwer genug.
»Ich wünschte, du würdest neben mir liegen«, flüsterte sie fast unhörbar.
»Ja, Sue. Das wünschte ich mir auch. Für immer.«
Sue öffnete die Wagentür, stieg aus und winkte ihm nach, als er langsam die Straße hinunterfuhr. Dann wandte sie sich zur Haustür und suchte tränenblind nach ihrem Schlüssel.
Morse fuhr nach Kidlington. Ihm war schwer ums Herz. Noch bevor er angefangen hatte, sie richtig kennenzulernen, hatte er sie schon wieder verloren. Ein Gedichtvers fiel ihm ein:
Mir blieb keine Zeile, keine Locke von ihrem Haar
Aber er war ihm kein Trost, sondern verstärkte nur seinen Schmerz. Er konnte jetzt noch nicht nach Hause, nie war ihm so deutlich bewußt gewesen, wie einsam er im Grunde war. Er hielt vor dem White Horse , bestellte sich einen doppelten Whisky und setzte sich in eine stille Ecke. Sie hatte ihn nicht einmal nach seinem Vornamen gefragt … Dr. Eyres und seine Sandra würden bestimmt die Nacht miteinander verbringen, dachte er ohne Neid. Ob wohl Bernard Crowther den Verlust ebenso schmerzlich empfunden hatte, als er das Mädchen, seine heimliche Geliebte, hatte aufgeben müssen? Sicherlich nicht. Oder vielleicht doch? Seine Gedanken wanderten zu Sue und ihrem Verlobten. Hoffentlich war sie an einen anständigen Mann geraten. Nach einem zweiten doppelten Whisky verließ er zusammen mit den letzten Gästen den Pub. Er spürte ein nie gekanntes Gefühl von Verlassenheit.
Mit fast schon grotesk anmutender Vorsicht fuhr er den Lancia in die Garage. Bereits vor der Haustür hörte er drinnen das Telefon. Sein Herz begann wie wild zu schlagen. Er schloß hastig auf und stürzte in die Diele, aber im selben Moment hörte das Klingeln auf. War das Sue gewesen? Er konnte bei ihr zurückrufen. Dann fiel ihm ein, daß er ihre Nummer nicht hatte, die stand irgendwo in den Akten. Er würde im Präsidium anrufen und bitten … Er nahm den Hörer ab – und legte ihn wieder auf. Was konnte Sue noch von ihm wollen? Es war bestimmt jemand anders gewesen. Und wenn doch …? Dann hatte sie sich, während er im White Horse gesessen hatte, die Finger wund gewählt. Wäre er doch gleich nach Hause gefahren! Versuch es noch einmal, Sue, ruf noch einmal an! Ich möchte deine Stimme hören. Aber das Telefon blieb stumm.
Kapitel 19 – Donnerstag, 14. Oktober
Bernard Crowther war am Donnerstag morgen mit einem dicken Kopf aufgewacht. Um elf mußte er eine Vorlesung halten über › Die Einflüsse auf Miltons dichterischen Stil ‹ , und so saß er seit acht am Schreibtisch und bemühte sich mit wachsender Verzweiflung, seine Notizen in einen geordneten Zusammenhang zu bringen. Margaret hatte ihm vor einer Viertelstunde eine Tasse schwarzen Kaffee hingestellt. Sie bekam es jedesmal sofort mit, wenn er einen Kater hatte, und fast immer war dann irgendeine versteckte Anspielung fällig. Sie war bereits seit halb sieben auf, hatte den Kindern den Frühstückstisch gedeckt, einige Hemden und Blusen ausgewaschen, die Betten gemacht und in den Schlafzimmern staubgesaugt. Schon im Mantel, steckte sie noch einmal den Kopf durch die Tür: »Wird es denn gehen?« Warum konnte sie sich das nicht verkneifen?
»Ja, natürlich.«
»Soll ich dir etwas für deinen Magen mitbringen? Alka-Seltzer vielleicht?« Ein normaler Ton war zwischen ihnen gar nicht mehr möglich. Es herrschte ein Zustand permanenter Gereiztheit, der jeden Moment in einen offenen Konflikt ausarten konnte. Ach, Margaret! Wenn es doch bloß eine Möglichkeit gäbe, wieder miteinander zu reden.
»Nein, vielen Dank, nicht nötig. Ich muß übrigens auch gleich los. Wenn du noch eine Minute wartest, könnten wir zusammen …«
»Nein, ich muß weg. Bin sowieso schon zu spät. Bist
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