Der Letzte Bus Nach Woodstock
an. Nein, es müsse nicht sofort sein, aber sie wäre sehr dankbar, wenn der Doktor irgendwann im Laufe des Abends noch hereinschauen könnte.
Gegen halb acht klingelte es. Vor der Tür stand ein ihr unbekannter Mann. Ihr Hausarzt hatte wohl einen Vertreter geschickt.
»Ich möchte zu Mr. John Sanders.«
»Bitte, Herr Doktor. Ich bin froh, daß Sie vorbeikommen konnten. Es geht ihm gar nicht gut.«
»Ich fürchte, da muß ich Sie enttäuschen, Mrs. Sanders. Ich bin kein Arzt – ich bin Polizeiinspektor.«
Der Wirt des Gasthofs The Bell in Chipping Norton ging, als um halb acht das Telefon klingelte, selbst an den Apparat. »Ein Doppelzimmer für Freitag abend und Samstag, sagten Sie? Einen Moment, ich muß erst einmal nachsehen.« Er zog das Buch mit den Zimmerreservierungen zu sich herüber. »Das läßt sich machen, Sir. Soll es mit Bad sein?«
»Nach Möglichkeit, ja. Aber vor allem legen wir Wert auf ein Doppelbett. Meine Frau und ich finden, daß es sich in diesen Einzelbetten immer so schlecht schlafen läßt.«
»Geht in Ordnung, Sir.«
»Ich fürchte, es ist zu kurzfristig, um Ihnen meine Vorbestellung noch schriftlich zukommen zu lassen.«
»Das macht nichts. Wenn Sie mir nur noch schnell Ihren Namen und Ihre Adresse sagen würden.«
»Mr. und Mrs. John Brown, Hill Top, Eaglesfield – in einem Wort –, Bristol.«
»Ich hab’s notiert.«
»Sehr freundlich. Wir freuen uns schon auf das Wochenende bei Ihnen. Wir werden wohl so gegen fünf eintreffen.«
»Ich hoffe, daß es Ihnen bei uns gefallen wird.« Der Wirt legte den Hörer auf und schloß das Buch. Seine Mary hatte sich vor einiger Zeit spaßeshalber die Mühe gemacht, durchzuzählen, wie viele Mr. und Mrs. John Brown im letzten Jahr bei ihnen übernachtet hatten. Es waren über siebzig gewesen. Einmal zehn in einem Monat. Aber ihm konnte das im Grunde genommen egal sein. Der Mann hatte ausgesprochen gebildet geklungen und war wirklich sehr höflich gewesen. Außerdem sprach er mit Gloucestershire-Akzent. Der Wirt kam selbst aus dem Westen. Und schließlich – ein paar Männer hießen ja wirklich John Brown.
Kapitel 20 – Freitag, 15. Oktober, vormittags
Morse hatte an diesem Morgen länger als sonst geschlafen. Als er aufstand und in die Diele hinunterging, sah er, daß der Briefträger die Post schon gebracht hatte. Er schob die Times vom Boden auf und zog mit einem Ruck den weißen Umschlag heraus, der unter der Klappe des Briefschlitzes hängengeblieben war. Die Rechnung von Barkers. Er steckte sie zu den anderen hinter die Uhr auf dem Kaminsims.
Als er das Haus verließ, griff er nach den beiden Stöcken, die gleich neben der Tür an der Wand lehnten. Er konnte, bevor er ins Präsidium fuhr, noch im Radcliffe-Krankenhaus vorbeischauen und sie zurückbringen. Der Motor sprang gleich beim erstenmal an. Auf der Woodstock Road geriet er in einen Stau, so daß er Zeit hatte, darüber nachzudenken, ob er wirklich nur die Stöcke abgeben oder auch versuchen wollte, Sue Widdowson wiederzusehen. Insgeheim hoffte er natürlich, daß sie ihm zufällig über den Weg laufen würde wie beim letztenmal. Aber wenn nicht – sollte er dann nach ihr fragen? Und wäre ihr das recht? Allein sie zu sehen, würde ihn schon glücklich machen. Und es wäre doch geradezu unnatürlich, einfach wieder zu gehen, obwohl er wußte, daß sie irgendwo ganz in der Nähe war. In der vergangenen Nacht hatte er von ihr geträumt. Die Bilder waren ihm nur in Erinnerung geblieben, aber alle seine Gefühle für sie waren auf einmal wieder in ihm lebendig. Hatte sie ihn Mittwoch nacht noch einmal sprechen wollen?
Er wartete den Gegenverkehr ab, bog dann nach rechts und fuhr durch das Hauptportal auf das Krankenhausgelände. Er parkte im absoluten Halteverbot, winkte mit dem Zeigefinger den Pförtner herbei, drückte ihm, als er gerade den Mund aufmachen wollte, um ihn zurechtzuweisen, die beiden Stöcke in die Hand, gab ihm noch den Durchschlag des Formulars, auf dem er sich zur ordnungsgemäßen Rückgabe verpflichtet hatte, und wies den verdutzten Mann barsch an, sich darum zu kümmern, daß sie wieder in die Unfallambulanz zurückkämen. »Polizei!«
In Richtung Kidlington war die Straße frei, und er konnte zügig fahren. Er war wütend über sich und machte sich Vorwürfe wegen seiner Feigheit. Wenigstens hineingehen hätte er können. Doch tief in seinem Innern wußte er, daß seine Entscheidung richtig gewesen war.
Im Präsidium wartete der Sergeant
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