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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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konnte und an diesem Abend noch einmal nachdrücklich daran erinnert worden war, daß er die besten Jahre hinter sich hatte, so blieb ihm doch das Essen. Und es war wirklich ganz ausgezeichnet. Sie sprachen während der Mahlzeit wenig, und es kam für Morse völlig unerwartet, als sie ihn beim Kaffee plötzlich fragte: »Aus welchem Grund wollten Sie mit mir ausgehen, Inspector?«
    Morse sah sie an, das hellbraune, aus der Stirn gekämmte Haar, ihre vom Tanzen und dem Sekt leicht geröteten Wangen und vor allem ihre Augen, diese großen, traurigen Augen. Das Kinn auf die übereinandergelegten Hände gestützt, antwortete er: »Weil ich Sie sehr schön finde und mit Ihnen zusammensein möchte.«
    »Ist das wahr?« fragte sie mit scheuem Lächeln.
    »Wenn es einmal einen anderen Grund gegeben hat, dann ist er inzwischen nebensächlich geworden«, sagte er ruhig und blickte ihr dabei in die Augen. Er sah, wie sich langsam zwei Tränen aus ihren Wimpern lösten.
    Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm. »Ich möchte mit dir tanzen«, sagte sie.
    Die Tanzfläche war überfüllt, und sie taten nichts, als sich, dicht aneinandergeschmiegt, im Rhythmus der Musik sanft zu wiegen. Sue hatte ihr Gesicht gegen seine Wange gelegt, und er spürte glücklich das leichte Zittern ihrer noch tränenfeuchten Wimpern. Er wünschte, dieser Moment würde ewig dauern. Er küßte sie aufs Ohr und stammelte zärtliche Worte. Sie drängte sich dichter an ihn. Als die Musik endete, blieben sie voreinander stehen, und Sue sah zu ihm hoch: »Laß uns irgendwohin gehen, wo wir allein sind.«
    An die nächsten Minuten konnte sich Morse später nicht mehr erinnern. Er hatte wie träumend neben der Drehtür gestanden und auf sie gewartet, und dann waren sie langsam die St. Giles Street hinauf zu seinem Auto gegangen. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt.
    »Ich wollte dich etwas fragen«, begann Sue, kaum daß sie eingestiegen waren.
    »Ja?«
    »Was du vorhin gesagt hast … wenn es einmal einen anderen Grund gegeben habe, daß der jetzt nebensächlich sei … Ich meine, eigentlich hast du doch bestimmt vorgehabt, mir heute abend ein paar Fragen zu stellen.«
    »Ich weiß es nicht mehr«, sagte Morse.
    »Wegen des Mordes in Woodstock … Deshalb bist du doch überhaupt nur zu uns gekommen. Weil du glaubtest, daß Jennifer dir etwas darüber sagen könnte …« Morse nickte. »Du möchtest doch wahrscheinlich, daß ich dir von ihr erzähle.«
    Morse war im dunklen Wageninnern nur als schattenhafter Umriß zu erkennen. »Ich werde dir jetzt keine Fragen stellen, Sue. Denk nicht mehr daran.« Er zog sie an sich und küßte sie. »Wann kann ich dich wiedersehen?« Er spürte, wie sich ihr Körper anspannte. Sie entwand sich seiner Umarmung, suchte nach ihrem Taschentuch und schneuzte sich die Nase. »Gar nicht«, sagte sie, den Tränen nahe. »Es geht nicht.«
    Morse fühlte einen tiefen Schrecken und hörte sich ungläubig fragen: »Aber wieso? Wieso denn nicht? Natürlich können wir uns wiedersehen.«
    »Nein.« Ihre Stimme war klar und entschieden. »Wir dürfen uns nicht mehr sehen, weil … ich bin verlobt und werde bald heiraten.« Sie warf sich ihm mit einem verzweifelten Schluchzen in die Arme und vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. Mit einem Gefühl der Trauer hielt er sie fest und streichelte sie. Die Fenster waren von ihrem Atem beschlagen. Morse wischte mit dem Handrücken über die Frontscheibe. Er hatte vor dem St. John’s College geparkt. Es war gerade erst zehn. Neben dem Pförtnerhäuschen stand lachend eine kleine Gruppe Studenten. Er hatte damals auch an diesem College studiert und konnte sich noch gut an die ausgelassene Fröhlichkeit mancher Abende erinnern. Das war jetzt schon zwanzig Jahre her. Seitdem war das Leben an ihm vorübergegangen, und er hatte es nicht einmal gemerkt.
    Auf der Fahrt nach Nord-Oxford saßen sie stumm nebeneinander. Morse hielt vor ihrer Tür an. In dem Moment trat Jennifer, ihre Wagenschlüssel in der Hand, aus dem Haus und kam auf sie zu. »Hallo, Sue, so früh schon zurück?«
    Sue drehte die Scheibe herunter. »Wir wollten nicht in eine Verkehrskontrolle geraten.«
    »Wie wär’s mit einem Kaffee?« fragte Jennifer und sah dabei Morse an.
    »Nein, vielen Dank.«
    »Dann bis gleich«, sagte Jennifer zu Sue. »Ich stelle nur gerade noch meinen Wagen unter.« Sie stieg in einen kleinen Fiat, ließ den Motor an und fuhr einen eleganten Bogen. Sie hatte ganz in der Nähe eine Garage

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