Der Letzte Bus Nach Woodstock
… Sexualleben der äh … Patientin. Sie werden Verständnis dafür haben, daß es in bezug auf das äh … Arzt-Patienten-Verhältnis gewisse äh … ethische Überlegungen gibt, was die äh … Vertraulichkeit eines solchen äh … Gesprächs angeht.«
»Sie meinen, sie wollte von Ihnen die Pille verschrieben haben?« Lewis sah keinen Grund, lange um den heißen Brei herumzureden.
»Das, äh … Sergeant, haben Sie gesagt. Ich habe lediglich hingewiesen auf den besonders, äh … delikaten Charakter gewisser Unterhaltungen zwischen Arzt und Patient, äh … dessen eingedenk jeder Arzt streng prüfen muß, ob er nicht vielleicht einen, äh … Vertrauensbruch begeht, wenn er äh …«
»Wenn sie nun nicht die Pille genommen hat, könnten Sie uns das doch aber sagen, oder?« fragte Lewis mit dem harmlosesten Gesicht der Welt.
»Nun, Sergeant, ich habe den Eindruck, als versuchten Sie, mich ein bißchen aufs, äh … Glatteis zu führen, deshalb möchte ich darauf, äh … lieber nicht eingehen.«
Lewis bedankte sich. Beim Hinausgehen überlegte er, wie der Arzt es wohl anstellen mochte, wenn er einem Patienten eine unangenehme Diagnose mitzuteilen hatte. Er würde vermutlich einige Zeit in Anspruch nehmen.
Lewis fuhr zum Lonsdale College. Es war vereinbart, daß er Morse dort um eins wieder abholen sollte. Auf der Rückfahrt nach Kidlington berichtete er dem Inspector von seinem Versuch, dem sich windenden Arzt eine Auskunft über Sylvia Kayes Maßnahmen zur Empfängnisverhütung abzulisten, aber Morse winkte nur ab.
»Die Information haben wir doch längst. Sie hat die Pille genommen. Steht alles in den Akten. Erinnern Sie sich denn nicht mehr?«
Morse hatte recht, jetzt fiel es ihm auch selbst wieder ein. Der Inspector hatte ihm gleich zu Beginn der Untersuchung eingeschärft, alle Protokolle und Berichte sehr gründlich durchzulesen, damit die Fakten sich ihm einprägten. Das mit der Pille war ihm jedoch unwichtig vorgekommen. Der Inspector dagegen hatte wohl die Bedeutung dieses Umstands gleich erkannt. Oder? Lewis hielt es jedenfalls nicht für ausgeschlossen.
Als sie die Stadt fast hinter sich hatten, forderte Morse ihn auf, abzubiegen und zum Kreisverkehr an der Woodstock Road zu fahren. Sie könnten in dem Motel dort ein Bier trinken und ein paar Sandwiches essen.
Kaum, daß sie in der Morris Bar Platz genommen hatten, vertiefte er sich schon in die Krankenakte. Eine harmlose Gelbsucht gleich nach ihrer Geburt. Masern, Mittelohrentzündung, Warzen an den Fingern, Dysmenorrhöe und Kopfschmerzen. Im letzten August ein komplizierter Bruch des linken Arms. Sie war im Laufe der Jahre von verschiedenen Ärzten betreut worden. Dr. Green hatte nur ihre Kopfschmerzen und die Fraktur behandelt. Alle Eintragungen waren gut zu lesen. Der zögerliche Dr. Green hatte erstaunlicherweise eine energische, ausdrucksstarke Handschrift. Morse schob die Akte zu Lewis hinüber und ging zwei frische Bier holen. Einen Teil der dort gemachten Angaben würde er zwar schon aus dem Obduktionsbericht kennen, aber es würde nichts schaden, die Einzelheiten noch einmal durchzugehen. Sein Gedächtnis für Details war nicht das beste.
»Haben Sie sich schon einmal den Arm gebrochen, Lewis?« fragte Morse, als er an den Tisch zurückkehrte.
»Nein, Sir.«
»Soll sehr schmerzhaft sein. Viele Nervenenden, genau wie im Fuß. Äußerst schmerzhaft – ich kann ja, was das angeht, jetzt durchaus mitreden.«
»Das glaube ich gern«, nickte Lewis mitfühlend – dankbar dafür, daß ihm diese Erfahrung bisher erspart geblieben war.
»Wenn man – wie ich – eine von Grund auf kräftige Konstitution hat, dann ist so eine Sache zum Glück auch schnell wieder vergessen.« Der breitschultrige Lewis warf einen kurzen Seitenblick auf den Inspector, enthielt sich aber eines Kommentars. »Ist Ihnen eigentlich aufgefallen«, fuhr Morse fort, »daß Sylvia noch am Tag vor ihrem Tod bei Dr. Green war?«
Lewis öffnete erneut die Akte. Er hatte die Eintragung über ihren Besuch in der Praxis wohl gelesen, jedoch nicht auf das Datum geachtet. Es stimmte. Sylvia war am 28. September mit einem Brief des Orthopäden vom Radcliffe-Krankenhaus zu Green in die Sprechstunde gekommen. Der Brief war bei den Unterlagen. Er enthielt eine Empfehlung bezüglich der weiteren Behandlung des Arms.
»Arm noch sehr steif und bei gewissen Bewegungen schmerzempfindlich. Die physiotherapeutischen Maßnahmen sollten im selben Umfang wie bisher – zweimal
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