Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation
diesem Abend leer geblieben. So mochten es die Leute: Vorhang auf für das Spiel über Liebe, Sex und Eifersucht. Mal zart, mal derb und am Schluss wieder alles in Harmonie. Eine märchenhafte Liebesgeschichte in einer bunten Zauberwelt – konnte es etwas Schöneres geben?
„Bravo!“
Der Beifall setzte schon bei den letzten Versen des Stückes ein, die der Kobold Puck mit großer Geste deklamierte:
„Wenn wir Schatten euch beleidigt,
oh so glaubt – und wohl verteidigt
sind wir dann –, ihr alle schier
habet nur geschlummert hier
und geschaut in Nachtgesichten
eures eigenen Hirnes Dichten!
Wollt ihr diesen Kindertand,
der wie leere Träume schwand,
liebe Herrn, nicht gar verschmähen,
sollt ihr bald was Bessres sehen.“
„Nein!“, schrien die Leute und applaudierten frenetisch weiter, sodass einige Zeilen im Lärm untergingen. Der Komödiant Kempe in der Rolle des Puck hatte inzwischen einige aus der Truppe an die Rampe gewinkt, es wurde gespielt und getanzt, während er den Schluss des Epilogs aufsagte:
„Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden,
begrüßt uns mit gewognen Händen!“
Bad in der Menge
Das war der Augenblick, in dem Tamas mit einem Satz von der Bühne sprang mitten hinein in den Pulk der Zuschauer. Im Elfenkostüm segelte einer von der Rampe, als hebe er für einen Moment die Schwerkraft auf.
Verdarb er damit den Schluss der Vorstellung? Es entstand heftige Unruhe. Die Leute lachten über den, wie sie annahmen, speziellen Gag, den sich Shakespeare und Kempe ausgedacht hatten. Doch der Komödiant fluchte lauthals über die Störung seines Tanzstücks, mit dem jede Aufführung endete. Auch Shakespeare war sauer.
Was sollte das bedeuten!
Da war der junge Mann, eben noch Elfe Motte, schon zum Ausgang gelaufen.
Er hatte sie von der Bühne aus erkannt. Sie wurde bedrängt. Zwei Burschen aus der Rattenbande hatten sich an das blonde Mädchen herangemacht und wollten sie wegzerren.
„Lasst sie los!“
„Ach, die Motte! Ich lach mich kaputt! Verschwinde, sonst geht’s dir dreckig!“
Aus der Laute, die Tamas noch immer in der Hand hatte, wurde ein Prügel. Aus Tamas, dem Schauspieler, wurde Tamas, der durch die Zeiten streifende Wanderer. Und den sollte man besser nicht unterschätzen. Immerhin hatte er in einer vergangenen Epoche in anderer Gestalt als Gladiator um sein Leben gekämpft. Wenn es darauf ankam, wusste er, mit Waffen umzugehen. Das merkten die Ratten schneller, als ihnen lieb war.
„Au, Mensch, lass gut sein!“, schrien sie und verzogen sich, so schnell es ging.
Das Mädchen und ihr Retter, der einigermaßen lächerlich aussah in seinem zerrissenen Elfenkostüm, standen vor dem Tor des Globe. Von drinnen kamen die Klänge des Moriskentanzes, Lachen, Händeklatschen: Anscheinend hatten die Bühnenprofis das Geschehen schnell wieder in den Griff bekommen.
„Bist du es wirklich, Mondmädchen? Ich kann es nicht fassen!“
„Hast du mich nicht gerufen?“
„Ich rufe dich immer, mein Liebling. In jeder Stunde denke ich an dich, sehe den Mond oben am Theaterhimmel und bitte, dass du zu mir herabsteigst.“
„Nun bist aber du mir zu Hilfe geeilt.“
„Ach, eine Kleinigkeit war es, die Kerle zu vertreiben. Komm, lass uns verschwinden.“
„Musst du nicht mehr auf die Bühne?“
„Nein, diese Vorstellung ist vorbei.“
Haben wir uns gefunden?
Im Norden der Stadt saßen Tamas und sein Mondmädchen schweigend auf einem grasbewachsenen Hügel. Die Nachtluft war mild, klares Sternenlicht und der Glanz des aufgehenden Mondes spiegelten sich in den Augen der geheimnisvollen Schönen. Im Süden schimmerte das silberne Band der Themse. Tamas blickte immer wieder zu ihr herüber, bewunderte ihr zartes Gesicht, den sanften Schimmer auf ihrer Haut. Scheu, zerbrechlich und traurig wirkte sie. Er streichelte ihr Haar. Sie lächelt ihn an.
„Du willst wissen, ob das Zeichen noch da ist?“
„Ja.“
Sie schüttelte ihr Haar beiseite, Tamas sah das Bild, das er ihr in einer anderen Zeit auf die Haut gezeichnet hatte.
„Die Blüte der Lardana“ , sagte sie. „Ich habe es nie vergessen, dass sie von dir ist.“
Sie küsste ihn.
„Ich bin glücklich, dass wir uns wiedergefunden haben“, sagte er.
„Haben wir uns denn gefunden?“
„Du sitzt neben mir. Ich spüre dich.“
„Ja, ich bin froh, dass du da bist.“
„Warum bist du wieder traurig?“
„Ich habe Angst, weil ich nicht weiß, wohin ich geführt werde. Ob ich dich bald wieder verlassen muss“,
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