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Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation

Titel: Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schneider
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keinen Unterschied zwischen reichen Kaufleuten oder den Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden in den unteren Stadtvierteln an der Mauer.
    ‚Schert euch zum Teufel, Judenpack!‘
    ‚Ihr fresst uns das Brot weg!‘
    Die Lage der Minderheiten verschärfte sich von Woche zu Woche. Der Dominikanermönch Torquemada hatte Königin Isabella gedrängt, scharf und erbarmungslos gegen die Juden und die Zigeuner vorzugehen. Schließlich hatte sie zugestimmt. Der Dominikaner hatte als Inquisitor* nun freie Hand. Unter dem Vorwand, im Auftrag des Papstes zu handeln, verfolgte, drangsalierte und entrechtete er die Juden. Er zwang sie, sich entweder taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Selbstverständlich fiel der Kirche ihr Habe zu.
    Viele jüdische Familien trauten sich bald nicht mehr aus dem Haus. Als Gerüchte von Vergewaltigungen und Morden laut wurden, fassten meine Eltern Nachum und Rabea einen endgültigen Entschluss. So schnell es ging, sollten wir Frauen die Stadt verlassen. Der Vater würde in einem Monat nachkommen.“
    Die Flucht
    „Rat und Hilfe war bei diesem Vorhaben von Schorge gekommen, dem Chef des Clans der Sinti. Er hatte uns angeboten, mich und meine Mutter auf einem Treck mit drei Ochsengespannen mit nach Norden zu nehmen. Seit Langem schon arbeiteten Mitglieder von Schorges Clan für unsere Familie. Die Sintezas, die Frauen des Clans, waren im Laufe der Generationen als Wäscherinnen, Köchinnen und Hausmädchen beschäftigt, während die männlichen Clanmitglieder die Felder bestellten oder als Gärtner und Stallburschen arbeiteten. Sie hatten auch eine gute Hand für Reitpferde, kümmerten sich um die Maulesel und die Zugpferde, die ihre hoch beladenen Wagen über die Straßen Andalusiens zogen.
    Die muslimischen Herren hatten die Sinti, die seit Jahrhunderten draußen vor der Stadt in ihren Berghöhlen wohnten, anerkannt und gewähren lassen. Sie konnten in Ruhe ihre Kultur pflegen, ihre Tänze, ihre Musik, ihre Trachten und alle ihre Gebräuche ausüben. Sie waren tüchtige Handwerker, stellten Körbe, Besen und Bürsten her, schnitzten kunstvolle Figuren aus Olivenholz und bemalten sie mit Ocker- und Eisenerdefarben. Mit ihren Erzeugnissen zogen sie zum Markt nach Granada und in die umliegenden Dörfer. An besonderen Festtagen führten sie ihre Tänze auf und sangen die alten Melodien, frivol, schwungvoll und melancholisch zugleich.
    Bisher habe man sie ungeschoren gelassen. Sie hätten auch reisen können, um ihre Erzeugnisse auch auf weiter entfernt liegenden Märkten zu verkaufen. Doch nun, berichtete Schorge, habe man gedroht, sie zu vertreiben. Die Sinti könnte man nicht mehr in dieser Gegend haben. Sie hätten wie die Juden gemeinsame Sache mit den verhassten Muslimen gemacht, die man mit Gottes Hilfe und dem starken Arm von Isabella nun vertrieben habe.
    An einem Maitag verließen Rabea und ich, getarnt als Sinti-Frauen, mit den Gespannen des Clans unsere Heimat. Die Zigeuner spalteten sich in mehrere Gruppen auf. Es gab herzzerreißende Abschiede, als sie in verschiedene Himmelsrichtungen davonzogen. Ein Teil wanderte zum Balkan, ein anderer blieb im Süden des Frankenlandes, eine dritte Gruppe, zu der wir gehörten, zog weiter nach Norden. Was ich damals nicht wusste: Vater hatte Schorge reich dafür entlohnt, dass er uns in Sicherheit zu Reuben ins holländische ’s-Hertogenbosch brachte. Das war weit weg vom Einflussbereich der christlichen spanischen Könige, Bischöfe und der Schergen der Inquisition. In deren Folterkellern wäre uns der Tod gewiss gewesen, wenn wir unserem jüdischen Glauben nicht abgeschworen hätten.
    Unsere Reise dauerte ein Dreivierteljahr. Wir traten unsere Flucht an, als in Andalusien die Mandelbäume blühten. Wir erreichten unser Ziel, als das holländische Land tief verschneit und alle Flüsse, Kanäle und Teiche vereist waren.“
    Die Wahrsagerin
    „Unterwegs hatte ich mich mit Rima angefreundet. Diese Sinteza war über 80 Jahre alt. Sie war eine Wahrsagerin und Heilerin, die ihre Künste auf den Märkten gegen Geld anbot. Sie strahlte trotz ihres Alters eine große innere Kraft und Gelassenheit aus. Jeder, der ihr Zelt betrat, spürte nach kurzer Zeit, welch geheimes Wissen die alte Zigeunerin in sich trug. Sie las das Schicksal der Menschen in ihren Handlinien. Ihr Blick ging in die Vergangenheit und in die Zukunft. ‚Susana, mein liebes Kind, was bedrückt dich?‘, fragte mich Rima eines Tages, als wir am Rande des Lagers auf einem

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