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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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entpuppt. Ein halber Mann, der seine zerbrechlichen Hände gefaltet hatte und auf den Tod wartete – vielleicht sogar auf ihn hoffte.
    Bosch glaubte Conklin. Seine Geschichte und sein Schmerz schienen zu echt zu sein, um als Schauspielerei abgetan zu werden. Conklin hatte das nicht mehr nötig. Er konnte bereits in sein Grab sehen. Er hatte gesagt, er sei ein Feigling und eine Marionette. Bosch konnte sich keine härteren Worte vorstellen, die sich ein Mensch auf den Grabstein setzte.
    Jetzt wußte Bosch, daß er dem wirklichen Feind schon von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte. Gordon Mittel. Der Stratege. Der Macher. Der Mörder. Der Mann, der die Fäden in der Hand hielt. Nun würden sie sich abermals gegenübertreten. Diesmal würde jedoch Bosch die Umstände bestimmen.
    Er drückte wieder auf den Knopf für das Erdgeschoß, ungeduldig. Es war eine nutzlose Geste, aber er tat es noch einmal.
    Endlich hielt der Aufzug, und Bosch trat in die leere und sterile Eingangshalle. Der Wachmann saß hinterm Schreibtisch und arbeitete immer noch an seinem Kreuzworträtsel. Man hörte nicht einmal einen Fernseher von irgendwoher. Nur die Stille, die das Leben alter Menschen beherrschte. Er fragte, ob er sich austragen müsse, aber der Wachmann winkte ab.
    »Hören Sie, ich möchte mich entschuldigen. Ich habe mich vorhin wie ein Arschloch benommen«, sagte Bosch.
    »Ist schon gut, Kollege«, erwiderte der Wachmann. »Manchmal bringt es uns alle auf die Palme.«
    Bosch fragte sich, was er mit ›es‹ meinte, sagte aber nichts. Statt dessen nickte er ernst, als sei der Wachmann ein weiser Guru. Er stieß die Glastüren auf und ging die Stufen zum Parkplatz hinunter. Es war kühl geworden, und er schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Der Himmel war klar, und die Mondsichel trat scharf hervor. Als er sich dem Mustang näherte, sah er, daß der Kofferraum des nächsten Autos geöffnet war. Ein Mann war dabei, einen Wagenheber unter der hinteren Stoßstange anzubringen. Bosch beschleunigte seine Schritte und hoffte, daß er nicht um Hilfe gebeten würde. Es war zu kalt, und er hatte keine Lust mehr, mit Fremden zu sprechen.
    Er ging an dem gebückten Mann vorbei und suchte dann nach dem richtigen Schlüssel für die Tür des Mustangs – er kannte sich immer noch nicht aus mit den Schlüsseln des Mietwagens. Als er gerade den Schlüssel ins Schloß steckte, hörte er hinter sich einen Schuh über den Asphalt schlurfen, und eine Stimme sagte: »Entschuldigen Sie.«
    Bosch drehte sich um und überlegte schon an einer Ausrede, warum er dem Mann nicht helfen könne. Er sah nur noch schemenhaft, wie der Arm des anderen auf ihn niederfuhr und alles blutrot explodierte.
    Dann wurde es schwarz.

41
    B osch folgte wieder dem Coyoten. Aber diesmal führte ihn das Tier nicht durch das Strauchwerk den Hügel hinauf. Der Coyote befand sich nicht in seiner gewohnten Umgebung, er hatte sein Reich verlassen. Es ging eine steile Straße hinauf. Bosch sah sich um und entdeckte, daß er auf einer hohen Brücke stand, die sich über eine riesige, bis zum Horizont reichende Wasserfläche spannte. Bosch geriet in Panik, als sich der Vorsprung des Coyoten vergrößerte. Er rannte hinter dem Tier her, aber es erreichte den höchsten Punkt der Brücke und verschwand. Die Brücke war jetzt leer, nur Bosch war noch da. Er kam oben an und sah sich um. Der Himmel war blutrot und pulsierte wie ein schlagendes Herz.
    Bosch schaute in alle Richtungen, aber der Coyote war verschwunden. Es war niemand zu sehen.
    Plötzlich war er jedoch nicht mehr allein. Hände ergriffen ihn von hinten und schoben ihn auf das Geländer zu. Bosch wehrte sich. Er stieß wild mit den Ellbogen um sich und stemmte sich mit seinen Hacken dagegen. Er versuchte zu sprechen, um Hilfe zu rufen, aber er brachte nichts heraus. Unter ihm schimmerte das Wasser wie silberne Schuppen in der Sonne.
    Dann waren die Hände genauso plötzlich wieder verschwunden, und er war wieder allein. Er fuhr herum, und niemand war da. Hinter ihm knallte eine Tür zu. Wieder fuhr er herum, und wieder war niemand da – und nirgendwo war eine Tür.

42
    E s war dunkel und er hatte Schmerzen. Ein gedämpftes Geräusch von erregten Stimmen hatte ihn aufgeweckt. Er lag auf einer harten Unterlage, und anfangs kostete es ihn große Mühe, sich überhaupt zu bewegen. Schließlich fuhr er mit der Hand über den Boden und stellte fest, daß er auf einem Teppich lag. Er lag auf einem Fußboden und befand

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