Der letzte Drache
Verrückteste war der Schatten.” Der andere Mann zog eine Grimasse.
“Heute Nacht war ja Vollmond, es war also viel Licht. Wir saßen noch ein wenig am See, es war sehr romantisch. Da war etwas vor dem Mond, eine Silhouette. Sie kam näher und warf einen Schatten. Wir konnten nicht genau erkennen, was es war, aber das war unheimlich.” Der andere nickte.
“Jedenfalls, wir suchen uns eine andere Wanderung, uns reichts. Vielleicht wollt ihr lieber mit uns zurückgehen?” Baldur zuckte mit den Achseln.
“Nein, das ist schon OK. Wir haben keine Angst. Wir wandern oft und kennen solche Begebenheiten.” Nach “wandern oft” schauten die beiden Männer zu Ella und nickten bedächtig. Ja, genau so sahen passionierte Wanderer aus. Komische Vögel, dachten sich die zwei.
Baldur wunderte sich immer noch, dass die beiden kräftigen Burschen so schwache Nerven hatten. Komische Vögel, die zwei, dachte er sich.
“Danke, ihr habt uns sehr geholfen. Guten Rückweg noch.”
“Und euch alles Gute da drin”, erwiderte der Kleinere und sie machten sich wieder auf den Weg.
“Oh, das klang ja ganz wunderbar. Brandstellen, ein großes fliegendes Tier. Das sind doch alles Zeichen, die auf den Drachen hindeuten.” Ella war ganz aufgeregt und sie bekam rote Wangen. Und auch Baldur konnte eine gewisse Nervosität nicht verleugnen.
Bald stießen sie auf die besagten dunklen Stellen. Es war, wie die beiden berichtet hatten. Mitten im Gebüsch war alles Organische weggebrannt. Drumherum keinerlei Spuren von Menschen, die dort gesessen haben konnten. Keine Sitzgelegenheiten, keine leeren Bierflaschen. Baldur und Ella nahmen nur zu gerne an, dass hier ein Drache Feuer gespien hatte. Warum sollte auch jemand mit einem Flammenwerfer durch den Wald robben?
Endlich erreichten sie den See. Das hatte nun doch länger gedauert als erwartet. Es hatte bereits zu dämmern begonnen und sie mussten das Zelt noch aufbauen. Baldur war gut ausgerüstet. Er hatte sein Wurfzelt dabei. Nachdem sie sich ein schönes ebenes Stück Wiese in respektvollem Abstand zu den Mücken am See ausgesucht hatten, nahm er es aus seiner kreisrunden Hülle, entfernte den Schutzgurt und warf es mit beiden Armen in die Höhe. Sofort entfaltete es sich und landete fertig aufgebaut auf dem Boden. Ella staunte und klatschte.
“Die Zelte die ich kenne, verlangten nach Röhren und Streben, einfädeln und einhängen. Heringen und allerlei Schufterei. Das hier ist ja super.” Auch Baldur freute sich über sein Zelt. Sie packten die Thermarestmatten in das Zelt und dann die Schlafsäcke. Jetzt, da die Sonne unterging, wurde es merklich kühler und das Zirpen der Grillen war deutlich zu hören. Die beiden waren Müde von der langen und insbesondere für Ella ungewohnten Wanderung.
“Du hast super durchgehalten, das hätte ich nicht gedacht.”
“Danke, wenn es Dir nichts ausmacht könntest du dafür heute das Kochen übernehmen.”
Das war schon klar, denn den praktischen Kocher konnte sie sicherlich eh nicht bedienen. Baldur zauberte eine Dose Ravioli aus seinem Rucksack, erwärmte die Ravioli mit Steinpilzfüllung in toskanischer Tomatensauce und sie löffelten, in ihre Mäntel gehüllt, ihr Abendessen, begleitet von einer Flasche Luganer. Sehr schnell war es dunkel geworden und der Himmel war voller Sterne. Die Lichter der kleinen Stadt waren weit genug weg um nicht zu stören. Sie waren nah aneinandergerückt.
“Irgendwo hier muss es nun also sein”, sagte Ella. Baldur gähnte herzzerreißend.
“Ja, aber nun folgt der schwerste Teil der Suche. Wir haben keine exakte Ortsangabe und nur die spärlichen Hinweise in der Karte, aber dafür Morgen den ganzen Tag Zeit zu suchen. Aber jetzt lass uns schlafen, ich bin todmüde.”
Ella genoss diesen Abend, diese Stimmung, aber auch ihr fielen immer wieder die Augen zu. Und doch hatte sie heute das Gefühl, das Baldur sie zum ersten Mal mit anderen Augen ansah. Sie war gespannt, was der Abend noch bringen würde. Baldur hatte sich am See die Zähne geputzt und war bereits im Zelt verschwunden, nun machte sich Ella auf zur Dentalpflege. Wahrscheinlich wartete Baldur im Zelt auf sie, vielleicht stellte er sich schlafend, das Mondlicht bot genug Licht um seine Umgebung auch jetzt noch wahrzunehmen. Sie hatte an diesem jungen, etwas stoffeligen Wissenschaftler einen Narren gefressen. Als Sie vom See zurückkam, verfinsterte sich der Mond plötzlich. Überrascht blickte Ella nach oben und es traf sie fast der Schlag,
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