Der letzte Drache
müssen wir mehr über die Gegend wissen, in der wir gelandet sind.” Ella wusste, dass der Drache Recht hatte. Sie wusste aber auch, dass sie verrückt werden würde, wenn sie nur hier rumsitzen und auf Baldur warten würde.
“OK, du musst hier bleiben. Das verstehe ich. Aber ich werde ihn finden. Gleich morgen früh geh ich los.” Es wurde ein trostloser Abend, an dem Ella ihren trostlosen Gedanken nachhing und es Fafnir nicht gelang, sich diesen zu entziehen so dass er mitlitt, bis der Schlaf die beiden endlich erlöste.
Ella war früh auf den Beinen. Fafnir hatte ihr so gut es ging erklärt, welchen Weg Baldur gewählt hatte. So gelangte auch sie zum Hinweisschild in Richtung Banff und freute sich, dass sie in einer so gastfreundlichen und schönen Gegend der Welt gelandet waren. Nicht auszudenken, es hätte sie in die Antarktis oder die Sahara verschlagen. Umso seltsamer erschien es ihr, dass ausgerechnet hier Baldur etwas zugestoßen war. Das konnten nur die Dragon Slayer gewesen sein. Sie hatte keinen Blick für die Schönheit der Landschaft. Alles was sie wollte war ankommen und Baldur finden. Nur an einer Wegkreuzung blieb sie verwundert stehen. Dort stand ein großes Holzschild mit einer schönen Schnitzarbeit, die einen Drachen zeigte und der Warnung “Beware of the Dragon.” War das ein Gimmick für die Touristen oder ein ernstzunehmender Hinweis darauf, dass Fafnirs Herzdame doch in der Gegenwart lebte? Dem würden sie nachgehen müssen, sobald sie Baldur gefunden hätte. Ihr Herz pochte als sie den Ort endlich erreicht hatte. Aber so früh am Morgen waren die Straßen leer und sie wusste nicht recht, wo sie Baldur suchen sollte. Schwarze Gestalten mit seltsamen Drachenbildern sah sie jedenfalls nirgendwo. Ratlos stand sie vor einem kleinen Laden mitten auf der Hauptstraße, als ein Polizeiwagen vorfuhr. Ein Sheriff stieg aus, wohl mit der Absicht, sich einen Kaffee zu besorgen, er hielt einen dieser skurrilen amerikanischen Thermobecher in der Hand, den ein lustiges Elchgesicht zierte.
“Sheriff, excuse me, you are my last hope.”, flötete Ella und setzte die Mittel ein, die einer bildhübschen Frau zur Verfügung stehen, die seit Tagen durch die Wildnis gezogen war, fern von Dusche und Makeup. Der Officer rümpfte die Nase und musterte das Mädchen.
“So früh schon auf den Beinen? Hast du eine längere Wanderung vor oder hinter dir? Was fehlt denn?”
“Genau. Das ist das Problem. Ich wollte mich hier mit meinem Freund treffen. Wir wollten tatsächlich heute Morgen einen langen Trail machen, aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Wo kann er nur sein?” Der Officer hatte noch nicht gefrühstückt und heute Morgen noch keinen Schluck Kaffee gehabt. Er war strenggenommen noch gar nicht wach und würde sich hier ohne Kaffee keinesfalls wegbewegen. Und dass der Freund diesen übelriechenden Schmutzfink verlassen hatte erschien ihm nur zu verständlich. Aber bei Ausländern wusste man ja nie. Jedenfalls, er hatte eine Idee:
“Frag doch am besten bei Martha nach. Die leitet das Hotel gleich hier nebenan. Soweit ich weiß ist es um diese Zeit des Jahres eh der einzige Ort, wo man noch ein Zimmer bekommt. Alles andere ist ausgebucht, es ist Hauptsaison. Aber Martha mag diese Vorbuchungen nicht und hält immer ein paar Zimmer frei. Wenn er hier ist, ist er bestimmt bei Martha. Und wenn nicht, vielleicht lässt sie dich mal Duschen?” Wie in einem schlechten Film tippte er mit dem Zeigefinger an seine Hutkrempe und verschwand so schnell er konnte in dem Laden, immer dem Duft des Kaffees nach. Ella wusste nicht recht, ob der Polizist sie nur abgewimmelt hatte, ergriff aber den Strohhalm und betrat das weiße Haus mit dem großen, alten Schild über der Tür, das sinnigerweise den Schriftzug ”Marthas Hotel” trug. Und es saß tatsächlich eine Frau hinter dem Tresen.
“ Good Morning, sind sie Martha?” Die Frau, Ella schätzte sie auf um die vierzig, lachte herzhaft.
“Ne, my Dear, Martha ist so früh noch nicht auf den Beinen. Wenn ich ein Hotel hätte würde ich ganz sicher auch nicht grad die Früh-, Spät-, oder Nachtschicht machen. Die gute Martha träumt also sicher noch oder hat sich gerade den Speck in die Pfanne gehauen.” Bei dem Gedanken leckte sie sich über die Lippen.
“Und das werd ich auch bald machen. In einer Stunde ist meine Schicht endlich zu Ende. Hab nämlich heute auch noch die Nachtschicht gemacht, weil Carl, die alte Rübennase, dazu zu betrunken war.”
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