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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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umsehen, aber irgendwo in den vergangenen Jahrhunderten hatte es jemanden gegeben, der von ihm wusste, der von ihm träumte, als er in den Umlaufbahnen ferner Konstellationen einen Hinweis auf die Zukunft suchte.
    Jemand hatte geschrieben und in Marmor gemeißelt, dass er der Letzte sein würde und auch wieder nicht.
    Er würde eine Frau finden. Vielleicht. So glaubte er sich zu erinnern. Über die ersten Verse war er sich sicher:
    HÖRET: EINST WIRD DIE SONNE VERSCHWINDEN.
    WASSERFLUTEN WERDEN MENSCH UND ERDE SCHINDEN,
BIS ALLE SICH IN TIEFSTER FINSTERNIS BEFINDEN.
    ERST WENN DER LETZTE ELF UND DER LETZTE DRACHE EINANDER FINDEN
    UND SICH VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT VERBINDEN,
WERDEN DIE MENSCHEN IHR SCHICKSAL ÜBERWINDEN.
    Damit war er zu einem Leben in hehrer Einsamkeit verdammt. Der Letzte ist der Letzte.
    Die Fortsetzung machte jedoch Hoffnung. Er war sich über den Wortlaut der Fortsetzung nicht mehr ganz sicher.
    Vielleicht stand da geschrieben, er müsse einem Mädchen die Hand zur Ehe reichen, deren Name dem der Morgenröte werde gleichen und deren Augen schauen im Dunkeln die Zeichen. Und sie ist die
    TOCHTER DER BEIDEN, DIE …
    Die was?
    Und dann war da dieses sonderbare Buch über Drachenkunde, wo etwas geschrieben stand über die Kinder von Menschen und Elfen, die zu Urhebern der sonderbaren Geschichten über vertauschte Prinzessinnen wurden. Vielleicht konnten Elfen und Menschen also Ehen eingehen. Offenbar hatten sie das auch schon getan, und ihre Kinder brachten die Romane hervor, die brütende Drachen mit Vorliebe hören wollen. Vielleicht verdammte ihn sein Dasein als letzter Elf doch nicht zum Alleinsein?
    Vielleicht lag ein Weg vor ihm und der war mit Blumen bestreut, kein dunkler Gang.
    In Daligar war, in Stein graviert, sein Weg aufgezeichnet.
    Es gab eine kurze Beratung über die einzuschlagende Richtung. Sowohl Erbrows Vorfahr als auch dessen Vorfahr waren in Daligar gewesen, doch im Brutvorgang wird offenbar der Orientierungssinn beeinträchtigt, während historische Ereignisse und Tatsachen klar und präzise erhalten bleiben. Der Drache war imstande, Name, Vatername, Spitzname, Geburtsjahr und Anzahl der Kinder von jedem einzelnen Steinmetzen, der an der Errichtung seiner Mauern mitgewirkt hatte, aufzuzählen, aber er wusste ganz einfach nicht, wo Daligar lag. Yorsch besaß eine Karte. Aber die war grob und ungenau. Alles, was er daraus entnehmen konnte, war, dass Daligar im Norden lag, was etwas unbestimmt war.
    Sie beschlossen, dem Flusslauf zu folgen, früher oder später würden sie die Stadt erreichen.
    Das Wasser glänzte im Mondschein und das genügte auch in der Nacht zur Orientierung. Als sie das Lichtquadrat eines Hüttenfensters erblickten, flogen sie tiefer, zwischen den Wipfeln der Lärchen dahin. Es gab verschiedene Arten der Dunkelheit: das Schwarz des Himmels, das tiefere Schwarz des Waldes unter ihnen, dessen Wipfel, wenn sie zwischen den Stämmen dahinflogen, noch dunkler waren als das Dunkel des Himmels, an dem die Sterne funkelten, und dann war da noch das tiefe Nachtschwarz der Erde, durch das sich das silbern glänzende Band des Flusses dahinschlängelte.
    Wenn Erbrow in großer Höhe flog, mussten sie nicht allen Windungen des Flusses folgen. Sie nahmen die direkte Linie und die Reise wurde dadurch kürzer. Yorsch erinnerte sich an den langen, erschöpfenden Fußmarsch, mit dem er als Kind diesen Weg in umgekehrter Richtung zurückgelegt hatte. Erschöpfend freilich nur bis zu einem gewissen Grad, denn wenn er müde war, hatte Monser ihn auf den Arm genommen, aber lang war der Weg gewesen, das allemal. Vor Morgengrauen kamen sie in Daligar an. Düster erhoben sich seine Mauern, dicht gespickt mit spitz zugehauenen Baumstämmen, wie die Stacheln eines riesigen Stachelschweins, und warfen ihre Schatten auf das Wasser des Flusses, das im Morgenlicht golden schimmerte. Die Stadt war noch dichter mit Türmen, Zinnen und Schießscharten bewehrt, als Yorsch es in Erinnerung hatte.
    Erbrow landete sanft auf einer kleinen, zwischen großen Kastanienbäumen verborgenen Lichtung, die mit Gras und Klee bewachsen war. Die Prophezeiung befand sich auf der Südseite der Stadt, genau gegenüber dem großen Tor und der Zugbrücke. Der Plan war einfach: Der Drache würde hier im Schatten liegen bleiben, im Zwielicht der Morgendämmerung kaum zu erkennen, während Yorsch sich unter die Menge mischen und in die Stadt schleichen würde, nachdem er den Wachen vor der Zugbrücke ausgewichen

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