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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Und ich stand mittendrin. Unberührbar. Aber ich roch das Benzin, und ich schmeckte den synthetischen Gestank des brennenden Teppichs im Mund, ich roch auch die schmelzenden Farben und zuckte zurück, als mein Monitor explodierte.
    Die Flammen leckten über die Zimmerdecke und schlossen sich wie Wellen um ein sinkendes Schiff. Eine angenehme Hitze legte sich über mich, als wäre ich in warme Handtücher eingewickelt. Und genau da hörte ich das dumpfe Klingeln. Einmal, zweimal, und dann war es wieder still. Mein Handy hatte sich in eine Plastikpfütze verwandelt.
    Ich betrat mein Schlafzimmer, sah das brennende Bett und meinen unbedeutenden Körper, der sich unter der Hitze unruhig bewegte, während er geröstet wurde.
    Ich legte mich in die Flammen.
    Ich war Seite an Seite mit mir selbst.
    Und wartete, dass es vorbei war.

DAS MÄDCHEN
    D as Mädchen starrte auf den Mann, der reglos vor ihr im Sand lag. Der Messergriff ragte aus seinem Magen hervor, die Klinge war nicht zu sehen. Mona wusste, dass der Söldner noch lebte. Alle paar Sekunden bewegten sich die Sandkörner vor seinem Mund in kleinen Wellen. Dann versuchte der Mann aufzustehen. Er hob den Kopf und wollte sich abstützen, aber seine Arme hatten keine Kraft und rutschten im Sand weg.
    Mona hockte sich hin und betrachtete ihn näher.
    »Wer bist du?«, fragte sie.
    Tulli Marsden riss die Augen auf. Sein Kiefer verkrampfte sich, als wollte er die Worte zurückhalten. Sein Blick sagte alles. Hass. Er dachte nicht daran, diesem Mädchen irgendwas zu verraten. Da legte Mona ihre Hand auf seinen Arm. Nichts geschah. Mona konzentrierte sich. Vorhin hatte sie Ennis’ Hand gehalten, und nichts war geschehen, und gestern berührte sie Jasmin am Arm, und auch da war nichts geschehen. Die Gabe kam und ging, wie es ihr beliebte. Mona konzentrierte sich. Tulli konnte sich weigern, mit ihr zu reden, er konnte zehn Messer ziehen und den Strand in die Luft jagen, aber wenn sie seine Erinnerung berührte, war er wehrlos. Mona spürte das Zucken der Armmuskeln unter ihren Fingern und hörte das Meeresrauschen, wie es näher kam und zurückwich, näher kam und zurückwich, dann erklang das leise Trommeln von Regen, und Mona erzitterte, als der Wagen über ein Schlagloch fuhr.
    Und es war drei Stunden vorher.
    Und es war mitten in der Nacht.
    Und Cedric sagte, das wäre doch typisch.
    »Hier regnet es immer. Glaub mir, das ist die mieseste Gegend der Welt.«
    Tulli war anderer Meinung, wollte aber keine Diskussion. Cedric war vom alten Eisen, deswegen störte es Tulli nicht wirklich, wenn er das letzte Wort hatte. Respekt war wichtig. Cedric schaltete das Fernlicht an. Die Landschaft war steinig, die Büsche waren karg, der Asphalt ein Gewebe aus Rissen und Schlaglöchern. Irland zeigte sich von seiner trübsten Seite. Selbst der Regen schien müde davon zu sein, sich jeden Tag aus den Wolken zu stürzen.
    Cedric ließ nicht locker.
    »Tulli, sag mir, was dir daran gefällt?«
    Sie fuhren durch einen kleinen Ort. Die dunklen Fenster reflektierten das Scheinwerferlicht, kein Lebenszeichen war zu sehen, selbst die parkenden Autos wirkten, als würden sie seit Jahren hier stehen und vor sich hinrosten.
    »Es regnet hier nicht immer«, erwiderte Tulli nach einer langen Pause. »Und mir gefällt es, weil es echt ist.«
    Mona wusste, dass er es ehrlich meinte. Erinnerung war Wahrheit. Die irische Landschaft erinnerte Tulli an das Gehöft seiner Eltern im Norden von Schottland. Er schaute aus dem Fenster, und Mona sah die Dunkelheit, die den Wagen umgab wie ein unerforschter Raum. Hier könnte ich eines Tages neu anfangen, dachte Tulli und wandte sich Cedric wieder zu. Das Gesicht des Söldners wurde vom Armaturenlicht schwach beleuchtet. Cedric war Mitte fünfzig und hatte kurz rasiertes Haar, eine Narbe am Kinn, die Nase mehrmals gebrochen, einen Zahnstocher zwischen den Lippen. Tulli mochte ihn wirklich. Cedric tat, als wären Tulli und er auf einer Ebene. Und das hatte Wert, denn Cedric war unter den Söldnern ein alter Hase.
    »Im Sommer ist es hier schön«, sagte Tulli.
    »Schön einsam«, sagte Cedric und lachte.
    Tulli grinste und sah auf die Uhr. Sie waren zwei Stunden von ihrem Ziel entfernt. Er dachte an die anderen Söldner, die alle in seinem Alter waren. Er kannte sie flüchtig, in diesem Business wurde einem davon abgeraten, enge Freundschaften zu schließen. Sie waren Konkurrenten und so behandelte Tulli sie auch. Für diesen Auftrag waren sie auf zwei Fahrzeuge

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