Der letzte Engel (German Edition)
Bankfach. Die Bruderschaft kann zwar die Häuser und Laboratorien vernichten, was aber auch immer sie tun, die Geschichte der Familie und die wahre Chronik der Engel bleiben unangetastet, dafür habe ich gesorgt.«
»Wieso die wahre Chronik?«, fragte Esko.
Jean-Luc zog eines der Bücher aus dem Regal und reichte es ihm.
»Schlag die Titelseite auf.«
Esko öffnete das Buch und sah einen Engel, der gegen einen Drachen kämpfte. Sein Gesicht veränderte sich, er lächelte und erinnerte für einen Moment an einen Jungen. Mona stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Bild auch zu sehen.
»Die Menschheit hat in den letzten Jahrtausenden viele Fortschritte gemacht«, sagte der Archivar. »Wir haben auch die Religion erfunden und uns ein paar haarsträubende Geschichten ausgedacht, um die Welt im Gleichgewicht zu halten. Im guten Sinne wollten wir einander etwas geben, woran wir festhalten und glauben konnten, weil es euch Engel nicht mehr gab. Im schlechten Sinne haben wir einander unterdrückt und die Angst der menschlichen Seele ausgenutzt. Wir erfanden Hölle und Himmel, Götter und Teufel, und natürlich haben wir auch euch neu erfunden. So seid ihr ein Teil der Religionen geworden. Wir können nicht ohne euch sein. Um den Ursprung nicht zu vergessen, gibt es die wahreChronik, die nichts mit dem Unsinn zu tun hat, der versucht, von eurem Ursprung zu erzählen. Aber das weißt du alles längst, nicht wahr?«
Esko nickte. Er hatte sich nicht nur das allgemeine Wissen des Archivars geholt. Er kannte sein Leben, er kannte seine Gedanken.
»Es macht mir keine Angst«, sagte Jean-Luc, »ich habe nichts zu verbergen. Ah, hier ist es.«
Er zog ein schmales Buch aus dem Regal. Es war in rotes Leinen gebunden und der Titel war schwarz eingeprägt:
DIE HISTORIE DER FAMILIE
1816–1997
»Meine Mutter hat bis kurz vor ihrem Tod an diesem Buch gearbeitet. Hier ist alles festgehalten. Wie die Familie entstand und warum Motte und Mona die letzten ihrer Art sind.«
Er reichte Mona das Buch und löste zwei Schlüssel von seinem Schlüsselbund.
»Mein Wagen ist ein blauer Volvo, er steht um die Ecke vor einem Briefkasten«, sagte er und drückte Esko die Schlüssel in die Hand. »Der Motor muss eine halbe Minute warmlaufen, sonst fängt er an zu stottern.«
»Wieso kommst du nicht mit?«, fragte Mona.
Der Archivar lächelte.
»Ich bin zu alt für Abenteuer, außerdem ist das hier mein Zuhause und jemand muss sich der Bruderschaft stellen. Wir können nicht andauernd davonrennen.«
An der Tür drehte sich Esko um.
»Du schickst Mona zur Familie, aber was geschieht mit dem Jungen?«, fragte er.
»Ich sage der Familie Bescheid. Sie werden sich um seine Sicherheit kümmern«, versprach der Archivar. »Und ihr solltet euch beeilen, euch bleiben noch gute vier Stunden, um die Fähre zu erreichen. Gegen ein Uhr werdet ihr dann in Rotterdam anlegen. Wenn ihr durchfahrt, seid ihr im Morgengrauen in Berlin. Zeit ist wichtig, denn die Bruderschaft ist auf dem Weg, und ihr wollt nicht, dass sie die Familie vor euch finden.«
Als Mona und Esko das Haus verließen, erwarteten die toten Mädchen sie auf dem Bürgersteig. Esko blieb stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen.
»Kannst du sie etwa sehen?«, fragte Mona überrascht.
Esko sah die Mädchen mehr als deutlich. Seine Augen begannen sofort zu tränen und er senkte den Blick. Mona nahm ihn bei der Hand, und während sie weiterliefen, erzählte sie ihm von ihren Schwestern. Sie nannte ihre Namen und erklärte, warum sie nicht von ihrer Seite wichen.
»Sei ehrlich«, sagte Esko danach. »Du denkst nicht daran, zur Familie zu fahren, oder?«
»Nicht wirklich. Erst will ich Lazar finden und meinen Schwestern helfen. Ich habe es ihnen versprochen und ich halte meine Versprechen.«
»Und Motte?«
Mona hob die Schultern. Die toten Mädchen warteten neben dem Briefkasten vor einem blauen Volvo. Mona konnte nicht wissen, dass sich ihre Einstellung zu Motte sehr bald ändern würde.
Esko schaute sich um.
»Ich hätte mein Schwert mitnehmen sollen«, sagte er. »Ich komme von einem Schlachtfeld, da fühlt sich jede Minute ohne Schwert an wie ein sicherer Tod.«
»Dafür ist es warm«, sagte Mona.
»Dafür ist es warm«, stimmte ihr Esko zu.
Sie setzten sich in den Wagen, und da saßen sie und warteten, dass sich Eskos Augen beruhigten. Mona wollte sich Die Historie der Familie näher ansehen und zog sie aus ihrem Rucksack, dabei entdeckte sie das Handy. Sie hatte keine
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