Der letzte Engel (German Edition)
Wintergarten weg in die Villa trat, verlor jegliches Gefühl von Ruhe. Die Aktivitäten hatten sogar den Keller der Villa erreicht, in dem nach Romains Plänen das erste Laboratorium entstand – die Zimmer der Villa reichten nicht aus, der Keller bot mehr Möglichkeiten, also wurde die Erforschung des Fundes nach unten verlagert. Aus diesem Grund saßen die Gräfinnen schon seit Wochen in der abgeschiedenen Ruhe des Wintergartens, in dem sie die Baronin angetroffen hatte.
»Ihr pendelt zwischen der Nationalbibliothek und der Villa, ihr lest Bücher und entzieht euch der Forschung. Was stimmt bei euch nicht?«
»Wir arbeiten«, sagte Gräfin Pia und hielt das Buch hoch, sodass die Baronin den Titel lesen konnte.
»Astronomie?«
Sie sah auf den Boden, wo sich die Bücher stapelten.
»Mechanik? Mathematik? Biologie? Botanik? Was tut ihr nur?«
Für einen Moment waren die Gräfinnen so weit, das Märchen mit der Baronin zu teilen. Sie kamen einfach nicht voran und brauchten Hilfe. Die Baronin zerstörte den Moment, indem sie mit einem Zettel in der Luft wedelte.
»Hier habt ihr was Vernünftiges zu tun. Wir erwarten heute Nachmittag unsere Lieferung von acht Mikroskopen aus den Niederlanden. Die Bestellung hat uns ein Vermögen gekostet. Ich will, dass ihr sie in Empfang nehmt und schaut, dass nichts zerbrochen ist.«
Die Gräfinnen seufzten, sie murmelten, es sei ihnen eine Ehre, die Arbeit eines Dieners zu übernehmen. Die Baronin hielt nicht viel von Sarkasmus.
»Wir sehen uns beim Abendbrot«, sagte sie und ging.
Die Kutsche stand auf Kufen und war bis übers Dach mit Kisten beladen. Der Kutscher beugte sich zur Seite und spuckte in den Schnee. Er war jünger als die Gräfinnen und trug einen Mantel, der eine Nummer zu groß für ihn war. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Waschbärmütze, seine Hände steckten in Wollhandschuhen und das Kinn war mit einem dünnen Flaum bedeckt. Er hatte ein rotes Halstuch umgebunden, das er in einem Anflug von Eitelkeit geradezupfte, ehe er in den Schnee sprang und sich streckte. Die zwei Pferde schüttelten sich und begannen gleichzeitig zu pissen. Die Gräfinnen gähnten. Sie hatten im Eingangsbereich einen Platz freiräumen lassen, sodass die Mikroskope dort abgestellt werden konnten.
»Wen haben wir denn da?«, fragte der Kutscher. »Wird man denn in Russland von den Mägden empfangen?«
Die Gräfinnen sahen in ihren Mänteln aus wie Prinzessinnen und wussten das. Sie wurden rot und waren so empört über die Beleidigung, dass ihnen für einen Moment die Worte fehlten. Der Kutscher spuckte erneut aus und zeigte mit dem Daumen hinter sich.
»Van-Leeuwenhoek-Mikroskope, Speziallieferung für Baronin von Krüdener. Wie wäre es, wenn ihr mal rennt und jemanden holt, der mir das Zeug abnimmt?«
Die Gräfinnen rührten sich nicht.
»Wie wäre es, wenn du erwachsen wirst?«, fragte Pia zurück.
Der Kutscher lachte. Er beugte sich vor und schlug sich auf die Schenkel. Der Atem stand für einen Moment wie eine Wolke vor seinem Gesicht. Nachdem er sich beruhigt hatte, zwinkerte er den Gräfinnen zu. Sie konnten jetzt sehen, dass aus diesem Dorftrottel eines Tages ein richtiger Charmeur werden würde.
Falls er so lange am Leben bleibt, dachte Natascha und trat an die Kutsche, um den Meister zu begrüßen. Sie hatte viel Gutes über das Handwerk der van Leeuwenhoeks gehört, sie hatte auch gesehen, was so ein Mikroskop kostete, und war froh, es nicht aus ihrer eigenen Tasche zahlen zu müssen.
»Sehr geehrter Herr van Leeuwenhoek, wir freuen uns, Sie in Sankt Petersburg zu begrüßen«, sagte Gräfin Natascha, doch niemand trat aus der Kutsche.
»Er ist etwas scheu«, sagte der Kutscher und stellte sich neben die Gräfin und hämmerte mit der Faust an die Tür: »He, du alter Sack, steig schon aus, die Mägde wollen dir den Sack kraulen!«
Gräfin Natascha war sehr versucht, sich die Peitsche vom Bock zu greifen und so lange auf den Kutscher einzuschlagen, bis ihr Arm müde war.
»Wahrscheinlich ist er verreckt, es war eine ruppige Fahrt«, sagte der Kutscher, als keine Reaktion aus der Kutsche kam. »Dann will ich ihn mal von den Toten auferstehen lassen, bevor meine zwei Tauben hier in der Kälte anfrieren.«
Mit diesen Worten stieg er in die Kutsche und knallte die Tür so laut hinter sich zu, dass die Pferde scheuten und ein paar Meter nach vorne traten. Gräfin Pia griff nach den Zügeln und brachte die Tiere zum Stehen.
»Wenn er mein Diener wäre«, sagte
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