Der letzte Grieche
flohen, zog Despina sich immer mehr von der Welt zurück. Als Jannis von seiner Pokerrunde heimkehrte, entdeckte er jedoch, dass verborgen und bewahrt unter allem Gerümpel in ihrem Gehirn, noch Kraft in ihr war. Als Vasso hörte, was passiert war, brach sie zusammen und weigerte sich, auch nur ein einziges Wort zu sagen, während seine Großmutter aus dem Bett aufstand und ihre Handflächen gegen seine Wangen presste. »Mein Gott, das war doch nur Petridis’ Schuppen. Jetzt bauen wir etwas Eigenes.«
Als er gegen Abend wach wurde, wischte Despina gerade den Küchentisch ab und stellte ein Glas Zitronensaft darauf. Dann begann sie, auf einem Blatt Papier zu zeichnen. Jannis ging hinaus, um seine Blase zu erleichtern. Es war kalt, es war Dezember, die Sterne gingen auf. Wie Wintersprossen, dachte er. Als er ins Haus zurückkehrte, hatte er das Gefühl, dass ihnen das Feld nicht mehr gehörte. Schon bald würde Tsoulas mit seinen Bulgaren kommen. Warum nicht tun, was die Großmutter vorschlug? Während er seine Limonade trank, lehnte Despina sich vor und zurück, sagte etwas, was er nicht hörte, sah ihn verschmitzt an und klopfte schließlich mit dem Zeigefinger auf die Zeichnung, als telegrafierte sie der Nachwelt. »So«, verkündete sie, »so wird es aussehen.«
Abgesehen von ein paar Winkeln behielt sie Recht. In den Tagen nach jenem Gespräch, in dem Kostas versprochen hatte, ihm Geld zu leihen, rodete Jannis den Hang, entfernte Steine und fällte eine kranke Zypresse. Als er die Säge am Stamm ansetzte, warf sie zweimal kräftig zitternd ihre braunen Nadeln ab. Mit der Zeichnung seiner Großmutter in der Hand schritt er daraufhin ab, was ihr neuer Stall, Werkzeugschuppen und Hühnerhof in einem werden sollte. Er grub und schachtete aus. Er goss ein Fundament aus Zement. Er sammelte Bambusrohre und Schilf. Er kaufte Hühnerdraht bei Gourgouras und kehrte mit Kalkfarbe aus Achladochóri zurück. Er lieh sich diverse praktische Werkzeuge von diversen praktisch veranlagten Dorfbewohnern und bestellte für das letzte versprochene Geld anständiges Fensterglas. Er wuchtete Tür- und Fensterrahmen aus dem Schuppen hinter der Kirche, den Vater Lakis früher als Büro benutzt hatte. Er werde die Ohren steif halten, erklärte er, und begann, von dem Priester ermutigt, auch die Steinwände einzureißen.
Am gleichen Tag wie Kostas kam Gourgouras mit seinem Traktor. Daraufhin wanderten die Steine vom einen Freund zum anderen, bis die Ladefläche leer war und die neuen Wände standen. Es dauerte noch ein paar Tage, sie abzudichten und zu verstärken, dann mussten die Dachpappe verlegt und Fenster und Türen eingepasst werden, der Zementboden verputzt und gestrichen, die Innenwände verputzt und gestrichen und die Außenwände grob verputzt und gestrichen werden. Doch dann war Jannis fertig, an dem Abend, bevor Tsoulas mit Bogdan und Vasil kam, und sogar Vasso, die ihr Möglichstes getan hatte, um die Atmosphäre zu vergiften, freute sich. Als er mit seiner Mutter hinunterging, damit sie sein Werk mit eigenen Augen begutachten konnte, platzte sie heraus: »Jetzt fehlt nur noch das Himmelreich.«
Das folgen sollte. Wahrhaftig. Ungelogen.
DAS HIMMELREICH. Die Gespräche mit Jannis waren Vater Lakis noch im hohen Alter ein Bedürfnis. Nach wie vor vermittelte er zwischen Nachbarn, traute Erwachsene und taufte Kinder – am häufigsten eins von Gourgouras, dessen Ehefrau er im Verdacht hatte, schwanger auf die Welt gekommen zu sein und aller Wahrscheinlichkeit nach dereinst auch schwanger zu sterben. Aber niemand schien Vater Lakis’ Interesse für Über- und Unterbau, Himmel und Humus zu teilen. Je älter Vassos Junge wurde, desto weniger Zeit hatte er allerdings, sich mit dem Priester zu unterhalten. Der Tabak musste geerntet und zum Trocknen ausgelegt, die Walnüsse mussten heruntergeschüttelt und eingesammelt, Gräben ausgehoben und Vieh geschlachtet werden – und dann landeten auch noch ein Stall und ein Feld bei Stefanopoulos als Einsatz auf dem Tisch, weshalb für die klassenlose Gesellschaft oder hydrologische Unternehmungen erst recht keine Zeit mehr blieb.
Als der Geistliche das neue Bauwerk erblickte, ging er sofort ein Buch holen, das er gefunden hatte, als man sein Büro in die Nische hinter dem Altar verlegte. Es würde ihn freuen, wenn es Verwendung finden könne, sagte er und erläuterte, dass Professor Gavril Avramidis’ Handbuch der Hydrologie. Über die edle Kunst der Bewässerung, erweitert durch
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