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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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würde, als ihm der uniformierte Urlaub erspart blieb?« Wenige Minuten später streiften die Tabakpflanzen Kostas, und kurz darauf schob er die Gartenpforte zum Anwesen seines Freundes auf. Das Teerdach glänzte zwischen den Bäumen.
    Der Anblick rührte an etwas in seinem Inneren. Verwirrt, vielleicht auch beschämt, kratzte er sich hinter den Ohren. Die Falte klebte. Der Grund für sein Zögern war ein Gedanke, mit dem er nicht gerechnet hatte. Bis zu diesem Augenblick hätte er ihn sogar heißblütig verneint oder kaltblütig abgetan oder kleingläubig mit einem Lachen quittiert. Aber jetzt wurde er von ihm überwältigt. Jenseits aller Unterschiede, so lautete sein Gedanke, gab es etwas, das er mit Jannis teilte. Nach dem Wehrdienst wollte er in einer Welt deutlich und unersetzlich werden, in der alles ständig anfing, während sein Freund in einer Welt aufgehen und sich vermehren zu wollen schien, die fortwährend aufhörte. Wo der eine danach strebte, Neuland zu betreten, suchte sich der andere immer mehr in Vertrautes zu vertiefen, als wollte er der letzte sein, der es verließ. Gleichwohl gab es etwas, was sie beide verband, und diese unbegreifliche Verknüpfung, diese unwahrscheinliche Verkettung, ließ Kostas weitergehen. Waren die Freunde womöglich wie die doppelte Ausgabe von Herakles auf den Münzen des Landes? Wenn es in seinen Ohren nicht so absurd geklungen hätte, dann hätte er gesagt, dass Jannis und er die linke beziehungsweise rechte Seite des gleichen Griechen zu sein schienen. Der eine war alles Gewesene, der andere alles, was noch werden konnte.
    Es ist möglich, dass wir die Gründe dafür, dass Kezdoglou an die Tür klopfte, nachträglich konstruieren. Aber dass er klopfte, ist zumindest eine Tatsache. Ebenso, dass er eintrat.
    Vasso saß am Küchentisch, wo sie kleine Steinchen aus einer Schüssel mit Bohnen sortierte. Die Haare waren frisch gewaschen, das Kleid sauber. Despina lag im Zimmer dahinter, einen Arm über das Gesicht gelegt und einen Eimer am Fußende, der von einem Handtuch bedeckt war. Als Kostas hereinkam, murmelte sie, ohne von den Fliegen zu ahnen, die über ihre Brust krabbelten: »Gib mir ein bisschen Fladenbrot und Limonade, mátia mou .« Er schaute sich unsicher um. »Beruhige dich, mána «, rief Vasso aus der Küche. »Du bekommst schon noch etwas zu essen.« »Óch, óch …« , stöhnte die Greisin, während ihre Hand ins Leere tastete. »Das ist hier das reinste Gefängnis.« Der Gast tätschelte verlegen die Decke und wich rückwärts aus dem Zimmer.
    Jannis’ Mutter erklärte, Despina müsse sich häufig übergeben. Seit einiger Zeit verliere sie leicht das Gleichgewicht und scheine nicht mehr zu wissen, wann Tag und wann Nacht war. Einzig Bohnensuppe helfe, zumindest gegen die Krämpfe – sowie die Bäder, die sie in der Wanne nehme, die Jannis angelegt hatte. Vasso selbst wusch sich lieber im Fluss, wie sie es immer getan hatte, aber wenn Kostas … »Fladenbrot und Limonade«, stöhnte die Frau im Nebenzimmer, »ist das zu viel verlangt?« Die Schwiegertochter stellte die Schüssel weg. » Mána , wann wirst du endlich begreifen, dass wir hier kein Fladenbrot essen?« Sie lächelte entschuldigend, als sie die Tür zuzog. »Einen Schluck Fanta?« Die Flasche klebte an der Plastiktischdecke.
    Während auf dem Herd die Bohnen kochten, klapperten und weich wurden, erzählte Vasso, dass Tsoulas bei den kommenden Wahlen kandidieren wolle. Elio Stefanopoulos hatte endlich eine Frau gefunden. Seine Schwester Stella erwartete mit ihrem Mann aus Achladochóri wieder ein Kind. Und Gourgouras hatte den zehnten oder elften Nachkömmling bekommen, sie wusste es nicht so genau. Als Jannis eine halbe Stunde später kam, hängte er seine Jacke auf und grüßte Kostas, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Die Jacke war übrigens aus Kunstleder und schien neu zu sein. Beim Mittagessen musterte er den Freund mit einer Miene, die dieser als heitere Geheimnistuerei auffasste. Noch könne er das Darlehen nicht zurückzahlen, erzählte Jannis, aber er habe Pläne für das Badehaus. Wenn Kostas sich nur noch ein bisschen in Geduld übe, würden sie bald im Geld schwimmen.
    Nach dem Essen traten die Männer in die Novembersonne hinaus. Das Badehaus glänzte wie ein schwarzes Juwel. Kostas wurde von einem Gefühl überwältigt, das nicht im Körper heimisch zu sein schien. Jahre voller Fehlschläge und Irritationen wurden auf einmal fortgespült. Es kam ihm vor, als hätte

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