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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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einen antike Quellen enthaltenden Exkurs (Athen, 1934), lange Zeit Pflichtlektüre für angehende Diplomlandwirte an der Technischen Hochschule von Thessaloniki gewesen war, wo Vater Lakis als junger Mann sein Studium begonnen hatte. Was er nicht erzählte, war, dass er in jenen Jahren vor dem Besuch des Priesterseminars in linken Zellen mitgearbeitet hatte, die verschlüsselte Telegramme aus Moskau und der Estremadura empfingen. Später sollte ihm die Geheimpolizei drohen, seine Aktivitäten zu enthüllen, falls der frisch geweihte Geistliche keine Informationen über die Dorfbewohner lieferte. Das Buch war das letzte, was ihn noch an seine engagierte Jugend erinnerte.
    Heute gilt es als veraltet und ist durch modernere Schriften wie Radcliffs »fundamentalhydrologische« Studie Theory of Water (Ann Arbor, 1969) ersetzt worden, worin die Problematik der Bewässerung auch aus soziokulturellem Blickwinkel beleuchtet wird. Aber das wusste Jannis nicht, als er auf seine Ellbogen gestützt versuchte, die Diagramme in Avramidis’ Buch zu deuten. Trotz allerhand Missverständnissen erkannte er schon bald den Nutzen, den ein Studium der Methoden zur Entwässerung haben konnte. Im Unterschied zu dem gelehrten Mann mit Spitzbart und dicker Brille, den Major Prokupa 1944 in einer Kiesgrube nahe Thessaloniki erschoss, kniend, die Hände über dem Ansatz zu einer Glatze gefaltet, bis zuletzt schweigend, hatte er beispielsweise geglaubt, dass eine mit entsprechender Kühnheit durchgeführte Kanalisierung Wasser über kürzere Strecken auch aufwärts fließen lassen könnte.
    Fortan traf man Jannis nicht im Kaffeehaus und nicht am Küchentisch, nicht bei Vater Lakis und nicht bei Karamella an, sondern außer Haus. Mit einem von einer Schnur zusammengehaltenen Reissack bekleidet, in den er Löcher für Arme und Kopf geschnitten hatte, experimentierte er mit Gräben und Rinnen. Er ähnele einem Büßer, flüsterte Bogdan Vasil zu, als die beiden ihn zwischen den Bäumen auftauchen sahen. Die Männer im Kaffeehaus nahmen an, dass Jannis ein neues Abwassersystem anlegte, und seufzten demonstrativ, während Elio Stefanopoulos vermutete, dass er eine Technik zum Auffangen von Regenwasser entwickelte, die ihm eines schönen Tages den Nobelpreis einbringen würde. Mit anderen Worten: Keiner wusste, was er da trieb.
    Erst als sich ein Tier der Familie in die Schlucht verirrte, in der, überwuchert von Unterholz und Unkraut, ein ausgebrannter Scania-Vabis lag, machte Jannis jene Entdeckung, die nicht nur in seinem eigenen Leben so viel verändern sollte. Es muss im März oder April 1964 gewesen sein. (Die Tabellen in dem Band Populäres Lehrbuch der Metallurgie , auf den uns Tore Ollén freundlicherweise hingewiesen hat, ermöglichen es uns zu berechnen, wie viel Zeit die Folgen des Fundes benötigten, um ihre volle Wirkung zu entfalten.) Als er die Ziege Maja aus dem Wrack lockte, fiel Jannis’ Blick auf den Auspuff und die schmalen Leitungen, die das Fahrzeug angetrieben hatten. Noch am gleichen Tag kehrte er mit Werkzeug zurück. Den Abend verbrachte er damit, alle brauchbaren Teile zu entfernen, die größtenteils aus Blei und nach vierzig Jahren in den Bergen für Autofahrten ungeeignet waren. Er stemmte die Motorhaube los und schraubte den Dachgepäckträger ab, der einst Kartons, Hühnerkäfige und mindestens einen Überseekoffer transportiert hatte.
    Den Sommer über arbeitete er wie ein Besessener. Er räumte den Werkzeugschuppen leer. Die Wände dichtete er ab, das Dach wurde neu verlegt und bekam eine Trichterform, die geteert wurde. Der Fahrersitz aus dem Bus wurde mit Stoff verkleidet. Danach wurde den Frauen seiner Familie der Zutritt untersagt. Die Bulgaren machten Umwege, weil sie keinen Kontakt mit jemandem wünschten, dessen Mückenschädel womöglich ansteckend war. Nur der Eisenwarenhändler in Achladochóri, der ihm Gummihammer und Schweißbrenner lieh, schaute vorbei, hatte in der Armee jedoch schlimmere Dinge gesehen und behielt für sich, welcher Anblick sich ihm bot. Folglich konnte Jannis in aller Ruhe den komplizierten Traum umsetzen, der an seinen Abenden in Avramidis’ Gesellschaft konkrete Gestalt angenommen hatte. Passend zu den Hundstagen war das Werk vollbracht, und im Oktober rief Despina mit mädchenhafter Verzückung: »Jetzt können die Engel loslegen!«
    Was machte die Smyrniotin so selig? Was hatte ihr Enkel an dem Hang zustande gebracht? Und warum sagte Vasso »tss«, als die Schwiegermutter

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