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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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sich das Gedicht, das er zu schreiben träumte, plötzlich materialisiert. Er betrachtete die Steine und die lackierten Bretter, er atmete den strengen Geruch von Teer ein. In einem Fenster hing ein Plastiktuch, das in der Brise flatterte – wie ein Vorhang zum Geheimnis. Jannis verscheuchte ein paar Hühner, zog die Tür zum ehemaligen Werkzeugschuppen auf und sagte: »Willkommen im Himmelreich.«
    Der Fahrersitz, der in einen Ruhestuhl verwandelt worden war, das Panoramafenster mit seinem Plastikvorhang, die Badewanne aus plattgehämmertem Blei … Alles zeugte von Sorgfalt. Nichts schien dem Zufall überlassen worden zu sein, trotzdem wirkte nichts gezwungen. Jannis hatte offenbar einen Weg gefunden, den Gegenständen eine andere und tiefere Funktion als ihre ursprüngliche zu entlocken. Kostas erkannte, dass sein Freund ihn etwas lehrte: Literatur konnte aus allem Möglichen zusammengesetzt werden, so lange es – er zögerte, verlegen wegen eines Pulses von 90 Schlägen in der Minute – mit Liebe geschah. Den hörte der Bauherr glücklicherweise nicht, sondern erläuterte, wie sich das Regenwasser in der Zisterne sammelte und durch die Leitungen hob, wie es erwärmt wurde und der Druck stieg. Es war ihm anzumerken, dass er stolz war. Kostas setzte sich auf den Wannenrand und strich über das Metall. Er hörte zu, stellte Fragen und erzählte schließlich, nach einer Kunstpause, dass er nach dem Wehrdienst von seinem Heimatland genug habe. Jannis müsse ihm das Darlehen wirklich nicht zurückzahlen. Laut Efi wuchsen in Schweden die Geldscheine an den Bäumen.
    »Efi?«
    »Ja, es war ihr Geld.« Er erklärte, die letzte Operation sei erfolgreich gewesen. »Beim dritten Mal wird alles gut, glaube ich.« Endlich konnte seine Schwester gehen wie jeder andere. Sicherheitshalber stand sie unter Beobachtung, da die Prothesen manchmal auch noch nach Monaten abgestoßen wurden. Aber sie verdiente bereits Geld in einer Fabrik. Wenn Kostas sich beeilte, würde sie ihm helfen, einen Job zu finden, bevor sie sich einen Mann suchte. Auffordernd wurde eine Augenbraue gehoben.
    Leider war Efis Bruder nicht so empfänglich für die Gemütsverfassung seines Freundes wie sie. Deshalb entdeckte er erst spät, dass Jannis stehen geblieben und verstummt war. Es verging einige Zeit, in der Kostas nach etwas suchte, was er noch sagen konnte. Schließlich drückte Jannis die Tür auf und erklärte, wenn das so sei, werde er ihn zum Bus begleiten. Er wolle ihn nicht daran hindern, das Land zu verlassen. Als Kezdoglou einige Tage später abreiste, fragte er sich, ob sie sich wiedersehen würden. Und ob seine Schwester ihm jemals verzeihen würde, was er Jannis erzählt hatte. Er glaubte es kaum. Doch eines Vormittags saß Jannis dann auf einer Bank vor dem Bahnhof von Bromölla. Zu Kostas’ großer Überraschung. Und Efis noch größerer Freude.
    OPERATION DUFTWASSER . Einige Monate nach besagter Szene vor dem Bahnhof besuchte Agneta Thunell den Keller von Haus Seeblick. Es war einer jener Freitage, die kein Freitag, sondern ein Donnerstag mit etwas Dienstag darin waren. Sie hatte sich die Haare mit Festiger besprüht und ihre Lippen rot geschminkt. Sie sahen zugleich wie Kirschen und wie Schnecken aus. Da Lily nach Kristianstad gefahren war, um ihren Mann abzuholen, hatte sie sich außerdem etwas Eau-de-Cologne aus dem Badezimmerschrank geliehen – nicht das Wasser, das die Dame des Hauses benutzte, das traute sie sich nicht, sondern aus der Flasche mit dem blauen Etikett, die Lilys Mutter bei einem Besuch stehen gelassen hatte. Jetzt strich sie ihr Kleid glatt. Die Hüftknochen zeichneten sich darunter ab wie spiegelverkehrte Bassschlüssel. Sie hatte feste Schuhe angezogen und war zu etwas wild entschlossen, dessen sie sich keineswegs sicher war. Jannis lag auf dem Bett und hatte die Hände im Nacken verschränkt. Die Lampe war zur Wand gerichtet, so dass ihr Licht einen angewinkelten Fleck bildete. Er trug das Hemd, in dem Agneta ihn früher am Tag bereits gesehen hatte. Sein Bauch hob und senkte sich still, auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Schreibheft. Sie nahm an, dass Anton im Keller gezeichnet hatte. »Hm-m …« Keine Antwort. In einer Ecke standen mehrere Bilder zur Wand gedreht. Die braungrauen Rückseiten mit kleinen Holzkeilen in den Ecken, erinnerten sie an die Unterseiten der Perücken ihrer Mutter. »Hallo?«
    Der Grieche wandte sich lautlos um, setzte sich ebenso lautlos auf und stellte seine Füße beidseits des

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