Der letzte Grieche
Veranda das Frühstück beendete, folgte Theo den nassen Spuren, die den Kiesweg hinauf, in die Garage hinunter und ins Haus hinein führten. Dort fand er Jannis mit nacktem Oberkörper und einem Handtuch über den Schultern vor dem Rasierspiegel stehend. An einem Haken tropfte eine Schwimmweste. Als Theo zur Veranda zurückkehrte, erzählte er, der Verschwundene sei zwar nicht mehr verschwunden, verhalte sich aber verdächtig. Die Brüder verabredeten, am nächsten Tag früher aufzustehen.
Der Wecker schrillte kurz vor sechs. Nachdem sie sich angezogen hatten, schlichen sie hinaus. Sie versteckten sich unter dem Pferdeschlitten, hinter den Brettern, die neben den Kufen aufgestapelt lagen, die so rostig waren, dass sie allmählich zerbröselten. Theo war hungrig, sein Bruder studierte die Ameisen, die zwischen den Dielen hin und her flitzten. Schließlich hörte man Geräusche. Jemand ging mit federnder Schubkarre auf dem Kiesweg. Als Jannis in Sichtweite kam, entdeckten die beiden, dass seine Beine nackt waren. Die Schienbeine waren von schwarzen, krausen Haaren bedeckt, die seine Haut bleich wie Teig aussehen ließen. Theo wollte rufen, als er sah, was in der Karre lag, aber Anton bleckte die Zähne. Jannis trug ein Hemd sowie eine eng sitzende Badehose mit offen baumelnder Schnalle. Er steckte die Hand unter den Bund und rückte etwas zurecht. Während er die Schnalle verschloss – zwei yin- und yangförmige Metallscheiben, die seitlich ineinander geschoben wurden –, stieg er aus den Holzschuhen. Pfeifend nahm er die Schwimmweste aus der Schubkarre und ging zum Wasser.
Es war Viertel nach sechs, als ein orangefarbener Gegenstand in den See wirbelte. Nachdem er ein paar sportliche Dehnübungen ausgeführt hatte, tauchte Jannis umstandslos in das zwölf Grad kalte Wasser. »Er. Kann. Tauchen«, stammelte Theo. »Mal sehen, ob er auch schwimmen kann«, zischte Anton. Es vergingen einige Sekunden, dann sah man einen Helm aus glänzenden Haaren auf dem See. Mit ein paar schnellen Zügen, nicht ohne Stil, hatte er die Weste erreicht. Jannis bewegte sich so, dass sie unter seiner Brust landete, und begann anschließend zu kraulen – ruhig und methodisch, immer weiter hinaus. »Ton alíti« , stöhnte der Ältere.
HOCHGEKREMPELTE ÄRMEL . Zwei Tage später näherte sich Ingemar Nyberg mit Anhänger und Staubwolke. Statt vor der Garage stehen zu bleiben, fuhr der Traktor jedoch die Böschung hinunter. Seine Räder hinterließen breite braune Spuren in dem spülmittelgrünen Gras. Am Ufer schwang Jannis sich von der Ladefläche, krempelte die Ärmel hoch und begann abzuladen. Die steifen Zementsäcke qualmten im Sonnenlicht, die Spaten und Eimer sahen mit ihren grauen Verhärtungen geologisch aus. Er dirigierte den Elektriker, der die Ladefläche schräg stellte. Sand und Kies rutschten herab und verwandelten sich in einen puddingförmigen Hügel. Theo hatte vor langer Zeit vergessen, den Mund zu schließen. Anton lächelte geheimnisvoll. In der Hand hielt er das Schreibheft, das Agneta im Keller gesehen hatte. Auf Befragen hätte er berichten können, dass Manolis das Angebot der Schwedisch-makedonischen Wassergesellschaft angenommen hatte, den Steg durch eine verlässlichere Konstruktion zu ersetzen. Zwar würde die Familie in einem Jahr umziehen, aber warum sollte man bis dahin ohne dieses Wunderwerk leben? Daraufhin hatte die Geschäftsführung der Gesellschaft das Vorgehen mit Nyberg erörtert, der zum Transportchef ernannt worden war.
An den folgenden Tagen schufteten die Männer von Kaffee und Teilchen bis Bier und chilopítes. Anfangs liefen die Kinder noch Werkzeug holen, aber schon bald beschränkten sie sich darauf, das Bauvorhaben ein-, zweimal täglich zu inspizieren. Agneta stand Lily bei der Essenszubereitung zur Seite und bekam darüber hinaus Hilfe von Efi Kezdoglou, die am ersten Nachmittag unverhofft in hochhackigen Schuhen und mit frisch frisiertem Haar eintraf. Ihr Bruder hatte beschlossen, mit Hermods daheim zu bleiben, vielleicht auch, weil er wusste, dass seine Schwester alleine fahren wollte. Efi wurde von den Ereignissen überrumpelt, bemühte sich jedoch redlich, sich anzupassen. Sie trug Essen und Flaschen mit einer Würde zum Ufer, von der sie annahm, dass ihre Gastgeberin sie von ihr erwartete, inklusive eines Lachens, das umso schriller wurde, je näher sie dem Wasser kam, aber schon am nächsten Morgen trug sie Lilys Slacks und alte Holzschuhe. Allerdings schminkte sie sich weiter,
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