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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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mit den übrigen Bienen im Stock hocken müssen, wenn sie den bevorstehenden Winter überleben wollte. Doch das Tier hatte sich trotz unterkühltem Regen und Einsamkeit nicht unterkriegen lassen, und deshalb stellte sich die Liebe in seinem Leben so spät und unvermutet ein wie das meiste n. A. Es gibt jedoch eine Zeugin der Überraschung, so dass wir sie auf einen Mittwoch mit ungeahnt viel Dienstag darin datieren können. Oder wie auch immer Jannis die Sache ausgedrückt hätte. Laut ICA -Kalender schrieb man jedenfalls den 8. November.
    Kurz vor sechs Uhr abends betrat unser – und schon bald nicht mehr nur unser – Held das Geschäft, in dem Agneta Thunell soeben einige Kupfermünzen in ihre Geldbörse legte. Sie hatte eine Woche frei, während Lily Florinos mit den Kindern Verwandte in Piräus besuchte, und war losgeeilt, um kurz vor Ladenschluss Fleischwurst zu kaufen. Jannis bemerkte das Kindermädchen nicht, als er zu der Kasse mit Hygieneartikeln auf der einen und Katzenfutter auf der anderen Seite ging, denn er hatte anderes im Sinn. Und in den Händen. Nach einem Herbst voller unbeholfener Blicke auf die irgendwie viereckige Kassiererin − wobei sich Dialoge entwickelt hatten von »Hast du Zündzweige?« »Zündzweige?« »Ja, du weißt schon, was ich meine«, bis zu »Hast du Zeit?« »Zeit?« »Ja, du weißt schon, was ich meine« – hatte er sich für eine direktere Vorgehensweise entschieden. Jetzt stellte er einen Zehnlitereimer Marmelade auf den Tresen. Die beiden Frauen sahen erst den Eimer, dann den Griechen, danach einander an. Anschließend brachen sie in ein Gelächter aus, das kein Ende nehmen wollte. Von dieser Reaktion verwirrt, wollte Jannis gerade sein Geschenk verteidigen, als er entdeckte, wer vor ihm stand – und daraufhin passierte Eigenartiges: Sein Rückgrat schrumpfte und dehnte sich, beides zugleich, und ließ eine müde und dankbare Biene herein.
    Halleluja.
    Die Tatsache, dass Berit Jansson augenblicklich aus seinen Gedanken verschwand, die stattdessen ganz von Agneta Thunell erfüllt wurden (Arme, Beine, Fleischwurst), diese Tatsache lässt sich physiologisch erklären. Aber im Moment war Jannis besorgt, und um die Faust zu beruhigen, die plötzlich gegen den engen Brustkorb pochte und pochte, erklärte er, der Eimer komme aus der Fabrik. Damit nicht genug. Unerwartet inspiriert erzählte er, es handele sich um ein Präsent für Frau Granqvist. So, so, meinte Agneta und sah die Kassiererin an. So sei es ganz bestimmt, denn Tante Greta habe einen guten Geschmack. Wahrscheinlich fasste der Grieche ihren Blick falsch auf, denn mit wesentlich größerer Vertraulichkeit, als er sich unter anderen Umständen zugetraut hätte, zog er das angekaute Streichholz aus dem Mund und fragte seine zukünftige Frau, ob sie mit ihm zu Abend essen wolle. Die Kassiererin hatte die Gastarbeiter im Ort kommen und gehen sehen und hätte es nie für möglich gehalten, dass sich jemand auf einen Flirt mit einem von ihnen einlassen könnte. Nun bemerkte sie jedoch den Glanz in den Augen ihrer Freundin, nun hörte sie die dumpfe Stimme des Ausländers, nun erkannte sie, dass sie Zeugin eines historischen Augenblicks war. »Marmelade?« fragte Agneta.
    Das Abendessen wenige Tage später fiel weniger denkwürdig aus. Danach wurden das Kindermädchen und der Gastarbeiter jedoch mit einer Schnelligkeit ein Paar, die selbst die Menschen in Tollarp erstaunte, wo eine Beziehung nach einem Besuch bei der jeweiligen Familie als bestätigt galt. Nach einer Reihe von Affären mit jüngeren Männern im Ort, deren letzte zu einer Verlobung geführt hatte, die einige Wochen vor ihrem Eintreffen in Balslöv gelöst worden war, verspürte Agneta mütterliche Instinkte. Das Gefühl war neu, gestand sie, als sie sich Lily anvertraute, aber nicht unangenehm. Hatte die Frau Doktor das Gleiche empfunden, als sie ihrem Griechen begegnet war? Amüsiert merkte Agneta, dass es ihr nicht nur gefiel, erfahrener zu sein als Jannis, sondern auch zu zeigen, wie man sich dabei verhielt – nicht wie ihre früheren Freunde, die alle Welt immer an ihre Fähigkeiten erinnern mussten, sondern durch Freundlichkeit, Schweigen, Würde. Aber es gefiel ihr auch, den Geschichten aus Áno Potamiá und den Träumen von Áno Potamiá und den Plänen für Áno Potamiá zu lauschen, von denen Jannis in einem immer verständlicheren Schwedisch berichtete. Ganz zu schweigen von dem Gefühl »überwältigt« zu werden, womit sie das Gewicht meinte,

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