Der letzte Grieche
Ordnung. Er war nett und wir haben nur soupiert. Es ist Jannis, du weißt schon. Tante Gretas Grieche. Aber ich gehe ja wieder zurück nach Balslöv, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.‹ Ich wusste allerdings nicht, dass Berit ihm eine Woche später im Geschäft begegnen und sagen würde, dass ich den Abend nett gefunden hätte. Für so was hat man eben seine Freunde. Sie sorgte dafür, dass wir uns ein paar Wochenenden später wiedersahen – und zwar mit ihr. ›Du brauchst eine Anstandsdame.‹ Diesmal trug Jannis einen anderen Anzug. Blau, glaube ich. Nicht hell, aber auch nicht dunkel. Meerblau. Und steif wie Papier. Den Anzug kombinierte er mit einem weißen Nylonhemd und einer grauen Krawatte. Da schau her, dachte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war wirklich beeindruckt.
Berit hatte sich ein Auto geliehen. Jannis wollte fahren, durfte aber nicht, als er gestand, dass er keinen Führerschein hatte. ›Noch nicht, Berit! Noch nicht!‹ Wir fuhren zum Volkspark, denn an dem Tag sollte Svante Thuresson zusammen mit Lill Lindfors auftreten und die wollte ich für keine Marmelade in der Welt verpassen. Ab und zu schielte ich zu Jannis hinüber. Er saß reglos da und sah nach vorn wie in der Kirche. Einmal ertappte er mich und lächelte so warm, dass ich dachte, ich würde schmelzen. Wir aßen und versuchten, zu der Musik zu tanzen. Sie sangen so schön, du weißt schon, dieses Lied vom Schweinehirten und der Prinzessin. Ich dachte: Irgendwie ist Jannis viel mehr als nur nett. Fühlt es sich so an, endlich gesehen zu werden? Manchmal war er aber auch hilflos. Zum Beispiel, als wir unser Essen bestellten. Das einzige, was er kannte, waren Fleischbällchen – und zu denen wollte er Wein trinken! Das Restaurant hatte Sorten, von denen er noch nie gehört hatte, und als die Kellnerin sich daraufhin erkundigte, ob er einen roten oder einen weißen haben wollte, antwortete er nur: ›Ja, bitte.‹ Ich weiß nicht, ob er den Unterschied kannte … Anschließend schwieg er. Als wir wieder tanzten, dachte ich, dass er sich bestimmt ziemlich gut bewegen würde, wenn ihm nur jemand die Schritte beibrächte. ›Unter seinem Anzug ist er wie eine Katze‹ flüsterte Berit, nachdem sie einmal mit ihm getanzt hatte. ›Wenn du nicht aufpasst, kann auch ich eine Katze sein.‹ Sie drückte ihre Zigarette aus und kratzte mit den Fingernägeln. Ich lachte und bat sie, still zu sein. Aber aus irgendeinem Grund konnte ich nicht vergessen, was sie gesagt hatte.
Auf dem Heimweg erklärte Jannis, er wolle uns die Sterne zeigen. Berit meinte, die hätte sie schon gesehen, aber wir hielten trotzdem mitten im Nirgendwo an. Berit tat, als bekäme sie Kopfschmerzen und blieb im Auto. Ich konnte mich kaum ernsthalten, als Jannis ihr eine Kopfschmerztablette geben wollte. Oder als wir auf den Acker hinausgingen. Es roch nach Gülle und die Absätze blieben im Lehm stecken. In der Dunkelheit muhten Kühe. Ich wusste ja, was kommen würde, und der Ort war nun wirklich nicht besonders romantisch. Aber er versuchte gar nicht, mich zu küssen, sondern nahm nur meine Hand, wie vorher, als er mich auf die Tanzfläche geführt hatte, und zeigte mit meinem Finger auf Sterne, die er bei ihren griechischen Namen nannte. Er sagte, es gebe bestimmt eine andere Frau im Kosmos – er meint sicher auf der Erde, dachte ich –, die im selben Augenblick dieselben Planeten ansah. Ob ich daran schon einmal gedacht hätte? Nein, das konnte ich nun wirklich nicht behaupten. Aber der Gedanke war schon ein bisschen romantisch. Als wir nach Hause kamen, sagte er: ›Es hat mich iberaus gefreut.‹ Jannis sagte immer iberaus . Das Ü fiel ihm schwer. Ich weiß nicht wieso, aber das scheint vielen Griechen so zu gehen. ›Ich will iberaus gern dich wiedersehen.‹ Ein richtiger Kavalier. Das meinte Berit auch, als wir am nächsten Morgen am Küchentisch saßen und rauchten. Ja, und dann habe ich ihn geküsst. Einfach so. Mitten auf dem Acker.
Mutter wollte keinen Gastarbeiter treffen – obwohl er bei Doktor Florinos gewohnt hatte, in den sie doch so vernarrt war, dabei hatte sie nur einmal mit ihm telefoniert. Vater sagte nichts. Wie üblich wagte er es nicht, ihr zu widersprechen. Aber unsere Nachbarin, Frau Larsson, die im Gemeindehaus von ihm gehört hatte, sagte, ich müsse ihn unbedingt mit nach Hause bringen. ›Weißt du, was du machst? Beim nächsten Mal tust du so, als würdest du mit dem Fuß umknicken, dann muss er dir helfen.‹
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