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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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hatte er gelernt, was ein Toaster war, und war mit seinen Gedanken woanders, so dass er erst nach Weihnachten all seinen Mut zusammennahm und einen der Spieler, die mit dick eingepackten Armen über der Bande hingen, fragte, ob er mitmachen und »ein bisschen pucken« könne. Das Ergebnis dürfte bekannt sein.
    Die einzigen Zeiten in Tollarp, über die wir nichts wissen, sind die Agneta-losen Tage vor ihrer Begegnung im ICA an jenem Novembertag. Wir gehen jedoch davon aus, dass Jannis sich einsam fühlte. Er vermisste griechisch sprechende Gesellschaft und war unsicher, ob er jemals wieder eine Ziege würde an sich drücken dürfen. Am letzten Wochenende mit Sonne – eine in Stanniol gehüllte Feuersbrunst – fuhr er deshalb nach Bromölla, obwohl er befürchtete, dass sein Besuch für Efi schmerzlich sein könnte. Die Bäume entlang der Eisenbahnlinie waren rot, orange, gelb. Zwischen den Stämmen sah man kalte Seen und silbrige Wasserläufe. Der Reisende im Waggon zweiter Klasse kam nicht umhin, an die siedende Masse zu denken, die er mit einem Netz auf den Haaren zu überwachen pflegte. Als er ausstieg, erklärte er deshalb: »Um diese Jahreszeit ist der Wald die reinste Marmelade.« Kostas, der im Bahnhofskiosk Zigaretten gekauft hatte, wusste nicht recht, was er damit meinte, deutete seine Behauptung jedoch so, dass sein Freund seit ihrer letzten Begegnung schwedischer geworden war. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie an der Konditorei vorbeikamen, wo Jannis Zimtschnecken und Punschrollen kaufte und erläuterte, was Marzipan war. Das I -Tüpfelchen kam, zumindest im lateinischen Alphabet, als sie in die Straße bogen, in der die Geschwister wohnten, und er verkündete: »Die spinnen in diesem Land hier. Es gibt Kreuzworträtsel, die behaupten, dass Stiernhielms palikári Her- ku -les heißt! Tss, was verstehen die Schweden schon von Helden?« Kostas, der sich gerade einen dänischen Prinzen ansteckte, sah ihn an – und hatte eine entscheidende Idee. (Darüber demnächst mehr.)
    Da die Freunde Griechisch sprachen, können Jannis’ neu erworbene Fertigkeiten im Satzbau nicht die Erklärung für die Kühle sein, die sich nach dem Mittagessen einstellte. Wir kommen nun zu einem heiklen Kapitel, vielleicht auch zweien, und es wird das Beste sein, die Worte auf die Goldwaage zu legen. Nachdem sie die letzten Neuigkeiten diskutiert hatten, die Efi mitgebracht hatte, erklärte ihr Bruder, er habe ein Problem. Wenn es stimme, was seine Schwester da erzähle, habe er im Gegensatz zu Jannis nicht die Absicht, jemals wieder nach Griechenland zurückzukehren. »›Heimat‹, soll das eine Zelle auf Jaros sein?« Seit die Griechen begonnen hatten, sich selbst zu vertreiben, hatte das Wort für Kostas jede Bedeutung verloren. »Der Geheimdienst weiß, dass ich mit Lambrakis protestiert habe, also bin ich jetzt ein politischer Flüchtling, ohne dass mich jemand danach gefragt hat. Ich fühle mich wie Hamlet.« Er zündete sich eine neue Zigarette an. »Grieche sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.«
    Aber die Lage im Heimatland war nicht der einzige Grund zur Sorge. Nach der Beerdigung der Großmutter hatte Efi ein Paket erhalten, das in säuberlicher Druckschrift an ihren Bruder adressiert war. Im Begleitbrief sprach Athanassia Osborn (*1891 in Smyrna, †1974 im Astoria General Hospital, New York) im Namen der Gehilfinnen Clios Kostas ihr Beileid aus. »Ihre Eltern gestatteten mir, die letzten Wochen an Elenis Seite zu verbringen. Ehe sie von uns ging, unterhielten wir uns über Sie. Sie sprach es niemals offen aus, aber ich ahnte, was sie meinte, wenn sie von ›dem Größeren‹ sprach. Das sind Sie, Herr Kezdoglou! Der Gedanke, dass Sie das Projekt eines Tages fortführen könnten, ließ Eleni Diese Jämmerliche Sache abschütteln. Sie hätten sie sehen sollen. In den letzten Wochen war sie wie ausgewechselt: jung, lustig, beharrlich. Sie sortierte ihre Papiere und überraschte mich damit, dass sie mir erzählte, wie alles angefangen hatte. Clio war kürzlich gestorben und die jüngere Generation sollte die Vergangenheit in geordneter Form übernehmen dürfen. Sie suchte sogar einen Brief heraus, der nicht ausgetragen worden war, und meinte, es sei nie zu spät, den Adressaten zu finden. Hätte Eleni doch noch ein bisschen länger leben dürfen! Seit Chryssoula in Plowdiw gestorben ist, sind wir nicht mehr besonders viele. Dimitra wohnt immer noch in Fulda, Margarita in Gelsenkirchen. Aber sie werden

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