Der letzte Grieche
›Frau Larsson‹, fragte ich, ›ist das wirklich eine gute Idee? Das kauft er mir doch niemals ab.‹ Weißt du, was sie geantwortet hat? ›Wer hat gesagt, dass er dir glauben muss?‹ Ich erinnere mich noch, wie wir nach Hause gingen, als ich das nächste Mal in Tollarp war. Einen Arm auf seinen gestützt, versuchte ich zu humpeln, so gut es eben ging. Das erste, was Mutter sah, als sie die Tür öffnete, war Jannis. Sie muss am Fenster gewartet haben. Ich dachte: Jetzt fällt sie in Ohnmacht. Aber sie sagte nur: ›Guten Abend‹. Und er antwortete, sehr galant: ›Guten Abend, Frau Thunell, ich bin Grieche. Ich heiße so und so.‹ Mutter musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, bekam aber keinen Ton über die Lippen. Dann kam Frau Larsson ins Treppenhaus und sagte: ›Wie schön, Agneta, deinem Fuß geht es ja schon wieder viel besser.‹ Falls Jannis bis dahin nicht begriffen hatte, dass ich nur spielte, verstand er es in dem Moment.
Von dem Tag an kam er selbst dann zu Besuch, wenn ich in Balslöv war. Sprach mit Vater über Motoren, versuchte Mutter für Kreuzworträtsel zu erwärmen. Ab und zu kochte er auch. Vor allem griechische Gerichte. Mutter und Vater trauten ihren Augen nicht. Was für ein Gastarbeiter! Das hätten sie niemals für möglich gehalten. ›Wann kommt Jannis und kocht uns was?‹, fragten sie. Sie aßen es nicht, sie verschlangen seine Mahlzeiten. Moussaká, keftédes, gemistés …Ein paar Wochen später konnte Mutter nicht länger verbergen, wie glücklich sie war, also sagte sie, es werde sicher trotz allem gut gehen. ›Tante Mutter‹, nannte er sie. Jedesmal kniff er sie in die Wange. Auch das war sie nicht gewohnt.«
FORTSETZUNG DES INTERVIEWS MIT DER LIEBSTEN . »Wenn wir schon über ihn sprechen, könntest du bitte auch noch folgendes festhalten. Ich will es gesagt haben, damit keiner etwas anderes glaubt. Nachher haben sich die Leute ja ganz schön das Maul zerrissen. Über meine Hartherzigkeit und so. Aber … Es ist so. Im Grunde war es seltsam. Er kam aus einer Welt, die viel älter und viel einfacher war als die, in der ich lebte. Ich meine: Seinen ersten Toaster hat er bei meinen Eltern gesehen! Er dachte, es wäre ein Apparat zum Vorwärmen von Tellern. Die Florinos hatten keinen. Zusammen mit mir aß er seine erste Banane. Ich fragte ihn, wo er die letzten fünfzehn Jahre gewesen war. ›Auf einem anderen Planeten‹, antwortete er – und kratzte sich unter dem Arm wie ein Affe. Dann lachte er natürlich. Jannis lachte immer. Er war so fürsorglich, dass ich endlich das Gefühl hatte, gesehen zu werden. Damals tat mir das Herz weh, wenn ich an die Jahre dachte, die wir einander nicht gekannt hatten. Ich war erst zweiundzwanzig, aber wenn ich mir vorstellte, dass er während dieser ganzen Zeit alles getan hatte, was er konnte, um … Alles getan hatte … Na, du verstehst, einen solchen … Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Einen solchen Hunger hatte ich noch bei keinem anderen Menschen erlebt. Keiner der Männer in Tollarp war so. Sie waren nicht neugierig und bescheiden und trotzdem bärenstark. Jannis kam gleichsam aus der Zukunft. Das klingt dumm, wenn man bedenkt, dass Makedonien vielleicht nicht das war, was der Rest der Welt anstrebte. Aber wenn ich mir überlege, wie es mit ihm war, empfand ich es so: Jannis gehörte die Zukunft. Obwohl er keine Ahnung hatte, was ein Toaster war. In Balslöv war ich unsicher gewesen, aber in Tollarp ahnte ich, dass ich ihn mehr haben wollte als ›nur so‹. Da konnte Mutter sagen, was sie wollte. Was sie auch tat. Nach chilopítes und melitzánes sagte sie, Jannis sei der richtige. Jannis und kein anderer. Er sei mein Liebster.«
Erneute Pause.
»Gibst du mir bitte die Medikamente. Da hinten auf dem Tisch. Und das Wasser.«
EIN HEIKLES KAPITEL, VIELLEICHT AUCH ZWEI. Im Laufe des Herbstes verbesserte Jannis seine Sprachkenntnisse, während bei Frau Granqvist im Flur die Kuckucksuhr tickte und sie leise sprechend, aber koordiniert, gemeinsam Kreuzworträtsel lösten. Wenn seine Vermieterin ihm gestattete, die Wellenlänge am Radio zu ändern, verfolgte er, was in seinem Heimatland geschah, und das Fehlende ergänzte Doktor Florinos in den Gesprächen, die Jannis in der Telefonzelle gegenüber der Fabrik mit ihm führte. Jetzt, da er endlich auch dem theoretischen Unterricht folgen konnte, nahm er wieder Fahrstunden, und als die Temperaturen sanken und man Eis machte, ging er am Eishockeyplatz vorbei. Aber zu der Zeit
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