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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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die Gesichter von Alkohol und Schlafmangel blass. Am Mittwoch hatte man mit frisch gedrehten Zigaretten und sauberen Hemden begonnen. Am Tag darauf hatte man erst eine Pause für ein Frühstück und danach für das Mittagessen und die Siesta weitere Pausen eingelegt. Bei letzterer verschwand einer der Bulgaren. Als er zurückkehrte – frisch rasiert, in einer Wolke aus Old Spice –, legte er eine Schachtel Zigaretten auf den Tisch und steckte gleichzeitig etwas in die Tasche seines Freundes. Die Mitspieler nahmen an, dass es sich um die letzten Geldreserven der Männer handelte. Wahrscheinlich hatten sie das Geld in einer Büchse in irgendeiner Felsspalte versteckt. Am Abend machte man erneut eine Pause, diesmal, weil Stella Stefanopoulos mit ihrem neugeborenen Kind ihren Bruder besuchte. Sie wohnte inzwischen in Achladochóri. Wer an den Säugling heran kam, kniff das Kind in die Wange und sprach Glückwünsche aus. Nur Jannis schwieg, vor allem als Stella durchblicken ließ, dass sie nicht verstand, warum er sich in einem Kaffeehaus befand und nicht bei Efi …
    Die Zeit ging und verging und schließlich war es Viertel nach fünf. Von der summenden Neonröhre abgesehen herrschte Grabesstille. Jannis hatte verhältnismäßig sicher und vorsichtig gespielt und verhältnismäßig sicher und vorsichtig verloren. Trotzdem hatte er einen Rückstand von hundert Streichhölzern. Mit einem hohen Einsatz würde sich der Verlust ausgleichen lassen, mit einem echten Gewinn war nicht mehr zu rechnen. Obwohl schon zwanzig, dreißig Hölzchen die verrückten Hoffnungen aufwiegen würden, die ihn dazu verleitet hatten, an diesem Tisch Platz zu nehmen. Er wusste, dass sich das Wetter nicht bändigen ließ, aber mit einer ordentlichen Plane, finanziert durch einen passenden Spielgewinn, würde das vielleicht auch gar nicht nötig sein.
    Vorsichtig hob er die Karten an. Seit Stella sich wieder aufgemacht hatte, war er zum ersten Mal überzeugt, das Richtige getan zu haben, indem er sitzen blieb. Er spürte, wie das Blut in seinen Adern bebte und zu kitzeln begann. Sein Brustkorb weitete sich, die Oberschenkelmuskeln spannten sich maskulin an. Pik sieben, Pik fünf, Kreuz zwei, Pik vier und … Pik sechs. Fast eine perfekte Straße. Mit etwas Beistand vom Glück, das anderweitig beschäftigt gewesen war, als er dreißig Streichhölzer mit nahezu todsicheren Karten verloren hatte, würde er die begehrenswerte acht bekommen. Jannis schob fünf Streichhölzer in die Mitte und bat um eine Karte. Bárba Pippis hielt drei Finger hoch, Vasil warf auf Anraten Bogdans alle Karten von sich und zeigte mit gespreizter Hand an, was die Männer brauchten. Tsoulas begnügte sich mit drei. Vermutlich hatte er genau wie der stumme Alte ein Paar auf der Hand. Jannis streckte die Arme über den Kopf. Seine Augen schmerzten, die Luft schien von einer Kuh wiedergekäut worden zu sein. Trotzdem fühlte er sich sicher, fast leichtsinnig: Sämtliche Fasern in seinem Körper verkündeten, dass er die Acht bekommen würde.
    Vielleicht flößte der Alkohol ihm diesen Glauben ein, vielleicht auch Stella, die wehmütig gelächelt hatte, als er ihren Blick suchte. Auch wenn er normalerweise nicht trank, nippte er doch an seinem Ouzo, der regelmäßig aufgefüllt wurde. Ein paar Spritzer Wasser verwandelten die Flüssigkeit in eine weniger gefährliche Wolke. Inzwischen waren ansehnliche Mengen Alkohol in seinem Körper gelandet. Leichtfertige Träume schwammen auf der schimmernden Flüssigkeit. Aber Jannis konnte kaum damit rechnen, dass seine Inspiration ewig währte. Schon bald würden sich die Träume erneut in Gelatine verwandeln und er tun, was er tun wollte, seit Tsoulas ihm erklärt hatte, die makedonischen Berge lehrten ihre Bewohner, kein Erbarmen zu zeigen: die Knie an die Brust ziehen und sich in sich selbst kehren. Noch lag er jedoch zurück und konnte nur die Flucht nach vorn antreten, in die unkontrollierbare Welt hinein und in der Hoffnung, wieder den festen Boden unter den Füßen zu finden, den er anderthalb Tage zuvor aufgegeben hatte. Seit Stella sie wieder verlassen hatte, spielte er deshalb schroff und entschlossen, in Erwartung eines Blatts, das sich nur einstellen würde, wenn er den Erwartungen trotzte. Und nun schien es endlich da zu sein. Er benötigte nur noch eine Pik acht. Wie groß war das Risiko, dass ein anderer eine höhere Straße in einer Farbe bekommen würde? Mit Sicherheit kleiner, als dass jemand auf allen Assen saß.
    Er

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