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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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Haus.« Bogdan seufzte und griff sich in den Schritt, Vasil sagte etwas Unverständliches. Auch wenn die Griechen ihre Sprache nicht verstanden, lasen sie doch die Resignation in den Gesichtern der Bulgaren. Langsam löste sich Jannis’ Herz aus den Fugen. Es würde klappen, es würde klappen …
    Dann merkten alle, dass noch ein Blatt ausstand. Nach und nach richteten sich die Blicke auf bárba Pippis. Stefanopoulos stand mit einem Handtuch in den Händen reglos hinter der Theke, draußen dämmerte es. Einzelne Hähne und Esel ließen sich vernehmen, ein Hund verjagte auf dem Marktplatz die letzten Gespenster. Der Lebensmittelhändler legte umständlich die Karten auf den Tisch. Noch lag der seriengefertigte Turm oben, dann drehte er sie um – aber so bedächtig, dass zwischen jeder Offenbarung ein Jahrhundert Platz fand. Herz acht. Herz neun. Herz zehn. Herz Bube … Mit jedem neuen Jahrhundert nahm Jannis’ Übelkeit zu. Das konnte, das durfte nicht wahr sein. Entweder hatte der Alte auch eine Straße, und wenn dem so war, würde Jannis sich nie wieder auf Zufall oder Wahrscheinlichkeit verlassen, oder er hatte Schrottkarten und wollte ihn nur ärgern, indem er es spannend machte. Als Papastratos zur letzten Karte kam, legte er seine sehnige Hand darauf. Herz Dame, lieber Gott, lass es keine Herz Dame sein. Aber die Mächte waren nicht auf Jannis’ Seite, weder an diesem Morgen noch im späteren Leben. Der Lebensmittelhändler räusperte sich. » Palikári mou , du wirst wohl eine Weile deine Spucke sparen müssen« – was mindestens zehn Worte mehr waren, als man ihn jemals hatte sagen hören. Als er die Hand hob, lächelte die Herz Dame alle und keinen an.
    Hier müssen wir uns ein einstürzendes Himmelreich, schwarzen, peitschenden Regen und heulende Dämonen in pikverzierten Trikots vorstellen, die durch den Spalt hinaus wirbeln, gejagt von Blondinen in herzförmigen Rüstungen. Denn das einzige, was man im Kaffeehaus von Stefanopoulos hörte, war das Klirren von Gläsern und Kaffeetassen, die der Besitzer einzusammeln begann. Es war 5:43, als er die Zigarrenkiste mit den Tentakeln in seinen neuen Kühlschrank zurückstellte, ein riesiges Metallding mit zierlichen Füßen, die Löwentatzen nachempfunden sein sollten.
    Ein weiteres Jahrhundert verstrich, grau wie Blei. Schließlich erkundigte sich der Wirt, ob er die Unterkiefer der Männer vom Fußboden aufsammeln solle. Der Lebensmittelhändler gewann als Erster die Bewegungsfähigkeit zurück. Sachlich begann er, seinen Gewinn zu zählen. Die Bulgaren schauten sich um, vielleicht wussten sie nicht recht, wo sie waren. Der eine – der mit den Plomben aus Blech – ließ seine Finger knacken. Der andere sah nach, ob das, was sein Freund ihm in die Tasche gesteckt hatte, noch darin war. Anschließend gingen die beiden, ohne sich zu verabschieden und ohne die Tür zu schließen, und vom nächsten Tag an gehörten nicht nur ihre Muskeln Tsoulas. Der Weinhändler blieb sitzen. »Jánni mou, Jánni mou«, murmelte er, sein gewaltiges Haupt schüttelnd, »wo sollen deine Tiere denn jetzt schlafen?« Jannis selbst bestand aus einem einzigen großen und zerstörten Organ: dem Gehirn. In ihm gingen hunderte Pferde in tausende Richtungen durch. Die Übelkeit wallte aus den Gedärmen bis in den Hals hoch. Er wusste, wenn er sich nicht konzentrierte, würde er sich zum Klang von Walküren in gestrecktem Galopp übergeben. Er schlug sich auf die Wangen, als wollte er sich wecken, er presste die Knöchel auf den alten Fleck und stand auf. Nie wieder würde er sich auf gute Karten verlassen. Nie wieder würde er einen filzbezogenen Tisch besuchen. Es handelte sich übrigens um das Möbelstück, auf dem seine Großmutter in ihrer ersten Nacht im Dorf vierzig Jahre zuvor geschlafen hatte. Sein Vater im Übrigen auch.
    Als es Jannis gelungen war, die Tür zu schließen, gab er sein Bestes, um Luft zu bekommen. Die Augen waren rot, die Kopfhaut juckte, die Kleider stanken. Er fühlte sich elend, gedemütigt, am Boden zerstört. Aber vor allem hatte er das Gefühl, in die falsche Welt hineingeboren worden zu sein. Zum falschen Zeitpunkt. Wie konnte er nur so ein Idiot sein? Hatte er wirklich geglaubt, er würde gewinnen? Und warum hatte er das Feld ausgerechnet in Tsoulas’ Hände gelegt? Er schlug sich vor die Brust, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. Auf der anderen Seite des Marktplatzes hörte man Hufe klappern. Ein Mann verschwand mit Maultier und Gepäck

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