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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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fächerte seine Karten auf und bekommen hatte er – Kreuz sieben. Auf der Uhr, die weiter getickt hatte, war es jetzt 5.23. Der Geist wankte, der Hals schmerzte. Zwei Siebenen waren kein starkes Paar, auch wenn Tsoulas mehrere Runden mit schlechteren Karten gewonnen hatte. Mit etwas Glück würde er einen Drilling bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, die Pik acht zu erhalten, war sicherlich geringer. Jannis schielte zu dem Lebensmittelhändler hinüber, der einen knochigen Zeigefinger hochhielt. Er war alt und verschlagen, ein echter Spieler († 1973 an den Folgen einer nicht behandelten Parkinsonschen Krankheit). Wahrscheinlich hatte er zwei Paar auf der Hand. Von einem Ohr zum anderen grinsend machte Vasil das Victory-Zeichen. Hatte er einen Drilling? Oder etwa den Anfang einer Straße? Auch Tsoulas wünschte zwei neue Karten. Der Gesamteinsatz wuchs. Bárba Pippis lag einige Hölzer im Plus, die Bulgaren hatten zweihundert verloren, nur der Weinhändler schien gegen Niederlagen gefeit zu sein. Jannis schob die Hälfte der ihm verbliebenen Hölzer in die Mitte. »Eine, bitte.«
    Während die anderen ihre Einsätze machten, studierte er ihre Gesichter. Tsoulas’ war vor lauter Erfolg feist und aufgekratzt, die der Bulgaren waren abgezehrt im Stile von Heiligen oder Irren, während man bárba Pippis’ benutzen konnte, um Schuhe neu zu besohlen. Jannis spreizte seinen Federschweif. Es war 5:29, als ihn ein unheilverkündendes Gefühl durchzuckte. Wenn er nun nicht gewann. Dann sah er Pik sieben, Pik sechs und Pik fünf ins Blickfeld gleiten, danach Pik vier … Als sein Daumen die letzte Karte freirieb, erkannte er, dass er noch ein Pik auf der Hand hielt. Und nicht irgendeins. Um 5.30 hatte er eine richtige Straße. Sie führte zwar nicht bis in den Himmel der Engel oder Asse, aber mit der Acht an der Spitze würde sein Blatt schwer zu schlagen sein. Die zwei Paare des alten Knackers schafften das ebenso wenig wie die Drillinge von Tsoulas oder den Bulgaren. Selbst wenn jeder von ihnen ein Haus bekam, hatte keiner ein besseres Blatt. Seine schwarze Straße würde ihm helfen, ein neues Dach zu decken. Die Acht an ihrer Spitze würde die Tiere seiner Familie geraume Zeit, vielleicht sogar bis in alle Ewigkeit schützen.
    Jannis horchte in sich hinein, ob sein Gesicht die Erregung verriet. Er glaubte es nicht. Er war viel zu müde, um nervös zu wirken, und im Übrigen waren seine Mitspieler mit ihren Blättern beschäftigt. Bárba Pippis sann über seine Karten nach, als wäre er unfähig zu entscheiden, was sie darstellten, und richtete seinen wässrigen Blick anschließend nach vorn. Er sah niedergeschlagen aus. Tsoulas bat Stefanopoulos, der schräg hinter ihm saß und die Nacht hindurch abwechselnd geschnarcht und Fragen zu seiner Schwester beantwortet hatte, um eine neue Runde kalamária . Bedeutete die Bestellung, dass der mächtigste Mann des Dorfs am Ende doch unruhig geworden war? Versuchte er ein starkes Blatt zu verbergen oder nur zu bluffen? (An dieser Stelle erscheint es angebracht, das Gesicht des Weinhändlers zu beschreiben: Es war groß und rot und zwischen zwei Ohren wie Walnüsse gepresst. Die gewellten Haare verliehen ihm jedoch einen zwar weichen, aber männlichen Zug, der Frauen ins Auge zu stechen pflegte, und seine vollen Lippen waren unverkennbar sinnlich.) Vasil grimassierte und zischelte Bogdan etwas zu. Wie auf Kommando klopften sie mit ihren Gläsern auf den Tisch und leerten sie. Jannis ahnte, dass sie einen Drilling, vielleicht sogar ein Haus hatten und jegliche Vorsicht fahren lassen wollten. Er bedauerte, dass er die beiden ruinieren würde, aber kein Erfolg ohne Opfer. Der Moment war gekommen, in dem sich das Glück wenden würde.
    Nun galt es, das Tempo herauszunehmen, bis die Konzentration der anderen nachließ und sie unvorsichtig wurden. Sonst würden die Einsätze zu schnell anziehen und er nicht mehr mithalten können. Vasil zündete sich eine Zigarette an und schob mit halb geschlossenen Augen zehn Hölzer nach vorn. Tsoulas bekam seine gebratenen Tintenfische, stopfte sich einen Tentakel in den Mund und erklärte, wobei das Ende zwischen glänzenden Lippen wippte, endlich komme Bewegung in die Sache. Bárba Pippis betrachtete den Rücken seiner Karten. Jede von ihnen schmückte der weiße Turm von Thessaloniki – eine massenhafte Wiederholung von Perfektion. Ruhig zählte er zehn Hölzer ab, dann nochmals zehn und schob sie in die Mitte. Genauso niedergeschlagen wie zuvor.

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