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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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meinem Arm liegst, als woanders. Iberaus besser.«
    »Was heißt denn woanders?«
    »Ja, also nicht auf meinem Arm.«
    »Meinst du vielleicht auf dem Fußboden? Wie ein Hund?«
    Jannis will seine Frau nicht verletzen. Aber er findet, dass die Antwort, die sie von ihm fordert, nichts damit zu tun haben soll, ob er zu einem Umzug bereit ist, damit sie ihre Ausbildung beginnen kann. Die drei Worte, die sie hören will, sind einzigartig. Oder, nein, das sind sie natürlich nicht. Aber für jeden Mund gibt es einen Morgen oder Abend – oder wie jetzt: eine Nacht –, an dem sie zum ersten Mal ausgesprochen werden. Will sagen: zum ersten Mal, als wäre es das letzte Mal. (O, Jannis Georgiadis.) Ein einziges Mal haben sie ihm so auf der Zunge gelegen, weich und flauschig, aber dennoch bebend und spitz, eher Bienen als Mücken, als er mit seinem Ohr auf einem Zwerchfell lag und es für so richtig hielt, sie auszusprechen, dass er bereit gewesen wäre, sie dafür anschließend für immer aus seinem Wortschatz zu streichen. Aber dann kam es nicht dazu. Und seit jenem Augenblick weiß er, wenn sie ihm jemals über die Lippen kommen sollen, muss es in dieser Weise geschehen. Die Leute können sagen, was sie wollen, sie können die Worte hundert oder tausend Mal aussprechen, wenn ihnen danach ist, dazu hat er keine Meinung, aber für ihn muss es jedesmal sein, als wäre es das letzte Mal. Sonst verschleißen sich die Worte und am Ende summen keine Bienen mehr in ihnen.
    Deshalb gibt Jannis keine Antwort, obwohl er nichts gegen Agneta hat. Im Gegenteil. Er tut alles, was eine Frau mit Recht von einem Mann erwarten kann, der sie liebt. Vielleicht sogar noch mehr. »Nein«, sagt er und sieht seine Frau an. »Nicht wie ein Hund. Eher wie eine Ziege.«
    ANGESCHOSSENER PLANET. Im Oktober geriet das Sonnensystem aus dem Gleichgewicht. Agneta arbeitete seit neuestem nicht mehr als Kindermädchen in Balslöv, konnte aber nicht alles mitnehmen, was sie bei Tante Aga angesammelt hatte. Deshalb verließ Jannis die Saftfabrik an einem Tag in der Monatsmitte früher als sonst. Als er in seinem ehemaligen Eden eintraf, beschloss er, an der Eisenbahnlinie entlang zum Haus Seeblick zu gehen. Er hatte reichlich Zeit, der Zug zurück ging erst am Abend. Er zählte die Schwellen und überlegte, dass er erst anderthalb Jahre zuvor und, abgesehen von seinem Koffer, mit leeren Händen angekommen war. Jetzt war er verheiratet, konnte mühelos die Schilder an Nybergs Schrottplatz lesen, und in weniger als zwei Monaten würde es ein Wesen geben, das sie Jannakis nennen konnten.
    Als er über diese und andere Fakten nachdachte, fiel es ihm schwer, an einen Zufall zu glauben. Hatte etwa eine riesige Hand ein Loch in den Himmel gestoßen und Wesen und Werkzeuge neu verteilt? War die gleiche Hand vielleicht mit dem Fingernagel an einer Furche in der Zeit entlanggefahren, um zu zeigen, wie zwingend ein Ereignis auf das andere folgte? Oder gab es etwas im Inneren jedes Geschehens, was dafür sorgte, dass es zu verwandten Ereignissen hingezogen wurde, ein inneres Angelblei, das andere anzog, bis sie gemeinsam das Geschehene an Ort und Stelle hielten? Wie ein Magnet? Unmöglich. Eine Überraschung war doch keine Überraschung mehr, wenn man sie herbeiführte? Ein wenig unvermittelt schweiften seine Gedanken zu der Frage ab, ob ihr Kind auch den Namen seines Großvaters mütterlicherseits tragen würde. Jannis Sture Georgiadis? Er lächelte. Warum nicht.
    Als er das Haus erreichte, blieb er auf dem Bahndamm stehen. Familie Florinos war ausgezogen. Die Fenster, die man hinter den Bäumen mit ihren Runen aus Ästen sah, waren dunkel, die Leine am Fahnenmast schlug beherrscht. Er ging vom Bahndamm hinunter. Der Rasen auf der Rückseite war nicht geschnitten, entlang der Hecke vermoderten Blätter. Einige leuchteten im Komposthaufen noch rot. Sein Blick wanderte weiter, zur Hafenpromenade, die nass und nackt glänzte, dann die Böschung hinauf und durch den wildwüchsigen Gemüsegarten zurück zum Haus. Er wollte schon wieder gehen, als er einen Pfiff hörte. Im nächsten Moment zwängte sich, von der einen zur anderen Kotelette grinsend, Tore Ollén durch die Hecke. In der Hand hielt er eine Harke, die nervös über die Erde holperte. »Sieh einer an«, sagte er und lehnte das Werkzeug an einen Baum. »Ein Fremder.«
    Jannis lächelte. »Kannst du sagen, Tore. Kannst du sagen.«
    Die Männer musterten einander. Der eine erkundigte sich, wie es in der Saftfabrik

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