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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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hinaufstiegen – sie hatte den Zeigefinger in seine Faust gesteckt –, ergänzte sie lächelnd: »Ich glaube, heute Abend kommen wir ohne Herrn D. aus, was meinst du?« Agneta hatte beschlossen, sich wie eine Lady zu benehmen.
    GESUNDES UNWISSEN. Der Sommer ging in Schüben weiter. Der halbe Juni war verregnet, während der Juli etwas Frühlingshaftes hatte. An Mittsommer war es genauso kalt wie an Pfingsten, während die weißgekleideten Herren, die im Mai ausgebuht worden waren, als sie gegen Rhodesien spielten, zwei Monate später unter einer Hitzewelle litten, die der Rundfunkreporter ein wenig unglücklich als afrikanisch bezeichnete. Trotz der unsicheren Zeiten verdichtete sich die Vegetation, bis sie feucht wirkte – was im August der Fall war, als der Planet erneut in einen solchen Winkel zur Sonne gelangte, dass man die Trainingsanzugjacken heraussuchte und es zuweilen mitten am Tag zu nieseln anfing, bis es aufklarte und die Mähdrescher ihre klappernde Arbeit erneut aufnahmen, während die Abenddämmerung so zart und lang wurde, wie es nur geschieht, wenn etwas endet.
    Für Jannis und Agneta endete nichts. Oder besser gesagt: Vieles endete – aber um von neuem zu beginnen, »diesmal richtig«, wie die Verlobte sich selbst zu versichern suchte, während sie mit einem Gesichtsausdruck, der sie nicht wirklich zu überzeugen vermochte, vor dem Badezimmerspiegel stand. Sie, die sich nicht gesellschaftlich engagierte, ließ sich das Haar kurz schneiden, färbte es nicht mehr und begann, mehr als bloß den Lokalteil zu lesen. Dass Veränderungen in der Luft lagen, ließ sie über eine Ausbildung zur Krankenschwester nachdenken, um die sie sich vor ihrer Beziehung zu Bengt schon einmal beworben hatte. Sie besorgte sich neue Anmeldeformulare und sprach mit Doktor Florinos über Puls und Blutsenkung. Wenn sie Lily mit den Kindern half, holte sie Ratschläge zu Koliken und noch nicht voll ausgebildeten Tränenkanälen ein, sie übernahm alte Kleider und erfuhr, dass es um die Kontinenz nach der Entbindung recht bescheiden bestellt sein konnte. Wenn sie am Freitagabend nach Hause kam, wollte sie sich nur noch ausruhen – am liebsten mit dem Arm ihres Verlobten unter dem Ohr. Ohne etwas sagen zu müssen.
    Jannis kochte Kompott, hielt sich über die Veränderungen in seinem Heimatland auf dem Laufenden und verbrachte die freien Stunden damit, für die bevorstehende Führerscheinprüfung zu lernen – sowie an Behörden zu schreiben. Die Arbeitserlaubnis, bei deren Beschaffung ein Beamter mit entzündetem Blinddarm behilflich gewesen war, hatte es ihm ermöglicht, Kezdoglou das Darlehen zurückzuzahlen und Bertil Granqvists alte Anzüge zu einem Schnäppchenpreis zu übernehmen. Nach kleineren Änderungen passten sie ihm erstaunlich gut. Mittlerweile konnte er einmal im Monat einen dünnen Briefumschlag nach Hause schicken. Vor der Hochzeit am 17. August musste allerdings noch »Klarheit über Ihren Status geschaffen werden«, wie der Notar im Standesamt von Kristianstad sich in einem Schreiben ausdrückte. Man nannte es »Prüfung der Ehefähigkeit«, und auch marmeladekochende Gastarbeiter mussten sich dem Verfahren unterziehen, insbesondere, wenn Grund zu der Annahme bestand, dass sie heiraten wollten, um eine neue Staatsbürgerschaft zu erlangen. Der Adressat wurde aufgefordert, seine Geburtsurkunde und ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Ohne dass Agneta etwas davon erfuhr, setzte nun eine umständliche Korrespondenz mit Vater Lakis sowie mit der Botschaft in Stockholm ein, wo Beamte der einen Sorte gerade gegen Beamte der anderen ausgetauscht wurden. Manolis, der die gleiche Prozedur zehn Jahre zuvor durchlaufen hatte, riet Jannis, nicht mehr als nötig zu erzählen – nichts über Zukunftspläne, nichts über zu erwartende Kinder, nichts darüber, dass seine befristete Arbeitserlaubnis sich schon bald in ein wertloses Stück Papier verwandeln würde. »Gesundes Unwissen hat noch keinem geschadet.« Während Jannis den Münzfernsprecher mit weiteren Geldstücken fütterte, erläuterte der Landsmann, man könne die Behörden daheim auch im Nachhinein noch über die Vermählung informieren. Das Kind war schließlich nicht weniger Grieche, nur weil es im Ausland geboren wurde.
    Die Hochzeit fiel dementsprechend aus – eine bescheidene Angelegenheit mit Wolken, die sich abwechselnd in den hohen Fenstern des Reihenhauses spiegelten. Man könnte von einem Samstag ohne etwas darin sprechen. Berit Jansson

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