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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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lief, der andere danach, wie der Bruder unter den Deckenfresken in seiner Villa zurechtkam. Ersterer vermied es, nach Frau und Kind zu fragen, letzterer, sich nach den zukünftigen Nachbarn zu erkundigen. Beide begriffen, dass es gesundes Unwissen gab. Als die Verlegenheit ihnen gebot, das Gespräch zu beenden, beschloss Jannis zu kontrollieren, ob nicht doch eine Krocketkugel in dem Komposthaufen lag. Der Rasen war rutschig und lehmig. Die Schuhe schmatzten, er spürte einen Absatz nachgeben. Als er den Haufen erreichte, fiel es ihm nicht sonderlich schwer, die Kugel zwischen Blättern und Zweigen auszumachen. Er polierte sie, so gut es eben ging. »Muss sich verirrt haben«, sagte Ollén und begann zu harken.
    Ja, dachte Jannis, ein Schwerpunkt kann sich verschieben. Als er mit dem angeschossenen Planeten in der Hand durchs Dorf ging, fühlte er sich unerwartet beschwingt, fast schwerelos. Manchmal war nicht mehr als ein Stoß erforderlich, um Himmelskörper aus ihrer Bahn zu werfen. Nachdem er angeklopft und die Tür zu seinen neuen Verwandten geöffnet hatte, fast in einer einzigen Bewegung, zog er sich im Flur die Schuhe aus und sagte zu Agneta, die gerade ein Haarpflegemittel in ihre Handtasche legte: »Wir ziehen um, Krankenschwester.« Seine Frau betrachtete verständnislos die Kugel in der Hand ihres Mannes, dann schüttelte sie still den Kopf. Jannis klopfte lächelnd auf seine Gesäßtasche, obwohl auch das bloß Kopfschütteln auslöste.
    WASCHECHT . An einem feuchtkalten Abend im November klingelte es bei Familie Florinos in Lund an der Tür. Davor stand ein frisch verheirateter Makedonier in einer Jacke mit vier Eigenschaften: nass, glänzend, silbrig, schwarz. Na gut, fünf: Sie knirschte immer noch. In der Hand hielt er eine Tüte. Als er sich auf die neue Couch im Wohnzimmer fallen gelassen hatte – Grastapeten, Mahagonitisch, Polster so tief wie ein platter Fußball –, zog er aus seiner fleckigen Hose einen Schlüsselbund. Doch, Frau Lily sah richtig. Jannis und Agneta hatten im westlichen Teil der Stadt eine Wohnung gemietet. Im Moment war er dabei, die Wände zu streichen. Seine Frau hatte die Farben ausgewählt und sich dabei von der Frau Doktor inspirieren lassen: zitronengelber Flur, schwimmwestenfarbenes Schlafzimmer, ein Wohnzimmer irgendwo zwischen Stachelbeere und Spülmittel. Nur die Ecke, in der das Gitterbettchen stehen sollte, war noch nicht gestrichen worden. Jannis hatte allerdings schon ein paar Liter Maihimmel gekauft, da er ahnte, was Agneta nicht sagen wollte. Sobald die Wände trocken waren, würde der Umzugswagen kommen und anschließend die Gattin mit Bauch und Zulassungsbescheid folgen. »Wir haben nicht viele Pläne, kiría Lily. Warum wir also nicht da wohnen, wo Agneta, sie Krankenschwester werden kann? Mm. Achter Monat.« Bei dem Gedanken an Jannakis lächelte er maihimmelblau. Dann zog er sein Portemonnaie heraus, suchte zwischen Zetteln und Fotografien und zeigte seinen neuen Führerschein, ausgestellt und laminiert in Kristianstad. Stolz deutete er auf das Foto des Mannes mit dem Robert Mitchum-Grübchen. Als eines der Kinder in der Tür auftauchte, rief er: »Psst, Mars. Jannis, er hat ein Geschenk.« Rasch stopfte er sich die Plastiktüte unter den Pullover. Anton setzte den Finger dorthin, wo eigentlich der Nabel gewesen wäre. »Warte, du wirst sehen.« Der Grieche zog das Geschenk heraus. »Der Nullpunkt, der ist verlegt worden.« Keiner begriff, wovon er sprach. Oder weshalb er lächelte.
    Ein paar Tage später bekam er Besuch von dem jungen Astronomen. Es folgt ein Wortwechsel. Schauplatz ist eine Zweizimmerwohnung in dem neuen Wohnviertel, das die Stadtplaner Delphi getauft haben. Noch wird in den Straßen emsig gebaut, vor allem für Studenten aus dem Ausland. Das neue Zuhause ist mit Wasser beider Art und einer Zentralheizung ausgestattet. An der Decke brennt eine nackte Glühbirne, in einer Ecke liegt eine Matratze mit Betttuch und Kissen. Der Grieche steht mit nacktem Oberkörper auf einer Leiter. Er streicht eine Leiste zum zweiten Mal grün. Auf dem einzigen Küchenstuhl sitzt der Junge und erzählt vom Himmelsgewölbe. Er hat gerade das nötige Geld für ein Sternteleskop zusammengespart und ist fest davon überzeugt, dass er unbekannte Planeten entdecken wird, die sich als bewohnt erweisen werden. Über der Rückenlehne hängt ein Hemd.
    JUNGE (sieht in der Hemdtasche nach) : Warum läufst du mit deinem Pass herum?
    GRIECHE (listig) : Geheim.
    JUNGE :

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